Montag, 8. Oktober 2007

Der zugegebenermaßen leicht überspitzte und stark polarisierende Bericht über die „guten“ und die „bösen“ Schweine in einer Bühler Fabrik

Der folgende Bericht soll all denjenigen, die bisher noch nicht das unliebsame Vergnügen hatten, in der Produktion tätig gewesen zu sein, schildern, warum jeder Mensch, der in der Fabrik arbeitet, metaphorisch gesprochen ein Schwein ist – entweder ein armes oder ein widerwärtiges! Als Erfahrungsgrundlage soll mir ein Werk in Bühl (Baden) dienen, in dem ich für ein paar Wochen als Aushilfskraft arbeiten durfte.

In der Fabrik hat man es wie gesagt mit zwei Typen Mensch zu tun. Erstere Art Fabrikmensch verrichtet eine monotone, geistlose Arbeit an einer Maschine oder an einem Prüfwerkzeug, die sich als zigmalige Wiederholung eines einfachen Handgriffs bzw. einer simplen Fußbewegung beschreiben lässt. Schon nach kurzer Zeit muss sich der Arbeiter mit der Erkenntnis konfrontiert sehen, dass er ähnlich automatisch funktioniert wie die Maschine, welche er bedient. Oder ist es gar umgekehrt: bedient die Maschine ihn? Egal, man kann es so oder so sehen, Fakt bleibt: als einfacher Fabrikarbeiter arbeitet man unter seinen kognitiven und kreativen Möglichkeiten. Das Schlimme ist: wer das zu lange tut, merkt das bald nicht mehr. Man glaubt nicht mehr daran, dass man mehr kann als Tag für Tag Teil für Teil zu produzieren. Das ist zwar schade für den Arbeiter, liegt aber im Interesse der Arbeitgeber. Denn durch die Monotonie der Arbeit und der daraus resultierenden schleichenden Verblödung oder versäumten Weiterbildung der Arbeiter gelingt es, die Ansprüche der Arbeiter an ihren Arbeitgeber und vor allem an sich selbst bescheiden zu halten. Denn nur wenn sich jeder Arbeiter klaglos seinem „Schicksal“ in der Fabrik fügt, kann das Funktionieren des Produktionsprozesses gewahrt bleiben.
Als Ergebnis jahrelanger Verblödung oder jahrelang versäumter Weiterbildung lässt sich eine geistig-kreative Interessenarmut unter den Arbeitern feststellen. So kommt es schon vor, dass die Arbeiter außerhalb ihrer Arbeit gar nichts mit ihrer Freizeit anzufangen wissen und ihren Existenzsinn gezwungenermaßen in der Fabrikarbeit suchen. Letzteres klingt vielleicht verrückt, aber schließlich lässt sich soziale Anerkennung und damit verbundenes Glück so ziemlich überall erfahren, wo Menschen in sozialen Kontakt miteinander treten – also auch in der Fabrik. Die Fabrikchefs und uns Verbraucher sollte es im Grunde freuen, dass es Arbeiter gibt, die ihren Fabrikjob als weniger trist wahrnehmen als manch ein Außenstehender glauben mag. Allerdings haben viele Arbeiter noch nie eine abwechslungsreiche, ihren Fähigkeiten entsprechende Arbeit unter besseren Arbeitsbedingungen ausgeübt. Und wer es besser nicht kennt, gibt sich eben schnell mit dem zufrieden, was er hat. Nur so lässt sich erklären, warum es viele Arbeiter sogar relativ widerstandslos in Kauf nehmen, regelmäßig ihr eigentlich freies Wochenende „verkaufen“ und ihre Interessen, ihre Familie und Freunde in den Hintergrund stellen zu müssen.
Neben der Eintönigkeit, welche die Arbeit zu einem tagtäglich acht Stunden währenden Kampf gegen die Uhr verwandelt, und der Belastung durch die aufgezwungenen Überstunden, hat der Arbeiter ein mehr oder weniger menschenwidriges Arbeitsumfeld auszustehen. Davon zeugen u.a. eine ohrenbetäubende Geräuschkulisse, die sich nur durch Ohrenschutz dämpfen lässt, und eine verschmutzte Fabrikluft, der sich der Arbeiter weitgehend hilflos ausgesetzt sieht. Da mutet es fast zynisch an, dass in manchen Fabriken Rauchverbote gelten, wo es doch angebrachter wäre, die Arbeiter vor den Emissionen der Maschinen, der Stapler und vor anderen Giften zu schützen. „Lieber 20 Zigaretten rauchen als diese Luft einatmen“, meint ein Arbeiter stellvertretend für viele seiner Kollegen. Folglich könnte nicht wenige Arbeiter das Schicksal ereilen, Jahre lang in einer Fabrik zu arbeiten, immerfort in die Rentenkasse einzuzahlen und dann an den Folgen des an ihrem Körper praktizierten gesundheitlichen Raubbaus jung zu sterben. Also wahrlich keine schönen Perspektiven für das arme Schwein von Fabrikarbeiter: Langweilige, psychisch abstumpfende, körperlich krankmachende Arbeit! Früher Tod?

Nun zum anderen Typus des Fabrikmenschen – den Chefs: sie haben normalerweise ein Studium oder zumindest eine Ausbildung durchlaufen und können sich daher einer weniger ermüdenden Arbeit erfreuen. Die meiste Zeit des Tages sitzen sie im Meisterbüro am PC; alle paar Stunden, wenn ihr Sitzfleisch ermattet und sie ihre eingeschlafenen Beine vertreten wollen, laufen sie eine Kontrollrunde durch ihren Verantwortungsbereich. Dort erkundigen sie sich dann bei den Arbeitern nach dem „Befinden“ der Maschinen und nach der Qualität wie Quantität ihrer Erzeugnisse - das alles meist in einem herrisch-arroganten Ton und Gesichtsausdruck, der keinen Zweifel daran lässt, wer in der Fabrik das Sagen hat. Lediglich an Sommertagen ziehen es manche Chefs gerne vor, in ihrem klimatisierten, vom Maschinenlärm abgeschirmten Büro zu verbleiben statt den Arbeitern auf die schweißnassen Finger zuschauen. Schließlich gibt es noch andere, verdecktere Methoden, sich als Chef des Fleißes und der Zuverlässigkeit der Arbeiter zu vergewissern. Vom Meisterbüro aus lässt sich via Computer bei einer Tasse Kaffee bequem verfolgen, wie viele gute und schlechte „Teile“ der einzelne, gläserne Arbeiter fabriziert. Denn augenscheinlich schert sie nur eines: hohe Stückzahlen und niedrige Schrottmengen.
Wer sich aber als verantwortlicher Chef nicht für eine generelle Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Arbeiter (z.B. kürzere Arbeitszeiten; höherer Stundenlohn; sauberere Fabrikluft; eine Art Rotationsprinzip, sodass nicht jeder immer an der gleichen Maschine arbeiten muss; Aufhebung des „faktischen“ Zwangs zur Drei-Schichtarbeit u.v.m.) einsetzt, sondern stattdessen den Arbeitern zumutet, eigene Bedürfnisse und Interessen immer weiter zurückzustellen, ist in meinen Augen ein ekelhaftes Schwein, ein widerwärtiger Mensch.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Servus.
Ein echt unterhaltsamer und interessant geschriebener Bericht über die "Industrieschweine" in Bühl.
Werde bei Gelegenheit auch mal die anderen Beiträge lesen.
Man sieht sich... .

Anonym hat gesagt…

kann mich meinem Vorredner nur anschließen, sehr gelungen.
mehr davon :)