Donnerstag, 22. November 2007
Buchrezension: Scharr, Patricia: Good Governance in Afghanistan?, Nürnberg 2006.
In ihrem Buch erläutert Schnarr u.a. zwei zentrale Begriffe, die die heutigen Probleme Afghanistans kennzeichnen: den transnationalen Terrorismus und die fragile Staatlichkeit. Alle anderen Probleme ließen sich auf diese beiden zurückführen. Dem transnationalen Terrorismus von heute gehe es im Gegensatz zum nationalen und internationalem Terrorismus nicht um „eine nationale Sache“, sondern „um die Veränderung der Welt bzw. einer Weltregion“ (S. 21). Aus diesem Grund könnten seit dem 11. September 2001 jegliche Menschen aller Nationen ins Visier von Terroristen geraten. Das gelte erst recht, zumal die technischen Neuerungen im Bereich der Kommunikationsmittel Al-Quaida & Co. die Möglichkeit zur grenzüberschreitende Koordinierung und Durchführung von Attentaten in allen Herren Ländern eröffneten. Das Zeitalter des Internet erlaube es den Terroristen, aus jedem Winkel der Erde und effizienter als je zuvor potentielle Kämpfer anzuwerben. Dabei kämen für die transnationale „Mission“ Al-Quaidas nicht nur religiöse Fundamentalisten, sondern auch Kräfte aus anderen Terrorgruppen sowie Personen aus dem kriminellen Milieu infrage.
Als Triebfeder der Anhängerschaft des transnationalen Terrorismus fungiere v.a. eine einheitliche Ideologie, die sich am deutlichsten im Hass auf die westliche Welt niederschlage. Aber auch Aspekte wie Armut, Perspektivlosigkeit etc. könnten für den Einzelnen ausschlaggebend für den Schritt vom Sympathisanten zum Terroristen sein. Der transnationalen Streuung einzelner, jedoch zusammengehörender Terrorzellen zum Trotz, bräuchten aber auch Terrornetzwerke einen „Stammsitz“, der den Terroristen als Rückzugs-, Ausbildungsort und/oder als Kommandozentrale diene. Schnarr fragt sich schließlich, welche Art von Staat Terroristen einen solchen Aufenthalts- oder Aktionsraum anböte.
Offensichtlich seien es in erster Linie so genannte failing oder failed states, die sich durch eine fragile Staatlichkeit definierten – in unserem Fall also Afghanistan. Fragile Staatlichkeit liefere Terroristen für ihre Zwecke einen idealen Resonanzboden. Umgekehrt könne aufkeimender Terrorismus eine intakte Staatlichkeit zerbrechen lassen. Über das Zerfallsstadium eines Staates gäben Ausprägungsgrade gewisser Indikatoren, wie der Zustand des staatlichen Gewaltmonopols, der Rechtssicherheit oder der sozialen Infrastruktur, Aufschluss. Um den beiden sich anscheinend magnetisch anziehenden Problempolen des transnationalen Terrorismus und der fragilen Staatlichkeit wirksam zu begegnen, müsse die internationale Gemeinschaft, einschließlich die deutsche Entwicklungs- und Außenpolitik auf zweigleisiges Handeln in Afghanistan setzen. D.h., dass der Terrorismus kurzfristig bekämpft, zugleich aber auch langfristig verhindert werden müsse. Die Ausbildung einer ausreichend starken afghanischen Armee und Polizei, die den Terroristen Paroli leisten könne, sowie nachhaltige strukturelle Maßnahmen, die auf state- und nation-building zielten, bedingten einander. State-building meint hier den (Wieder-)Aufbau staatlicher Strukturen, also hauptsächlich den Aufbau eines funktionierenden Regierungs-, Verwaltungs-, Rechts- und Wirtschaftssystems sowie einer sozialen Infrastruktur. Selbstverständlich dürfe das alles nur unter Berücksichtigung bestehender traditioneller Strukturen und im Konsens mit der Mehrheit der afghanischen Bürgerinnen und Bürger geschehen. Nicht weniger wichtig für eine dauerhafte Befriedung Afghanistans sei der „langfristige Prozess des Zusammenwachsens von Staat und Bevölkerung (Nation) im Sinne einer Herausbildung kollektiver Identitätsstrukturen“ (S. 89), kurz: nation-building.
Das Good Governance-Konzept, das im Titel dieses Buches von Schnarr anklingt, strebt letztendlich nichts Geringeres an, als die Entwicklung zu einer am Gemeinwohl orientierten politische Praxis auf Grundlage der soeben beschrieben staatlichen Strukturen. Sicher ist die Frage, was genau dem Gemeinwohl gut tue, strittig. Nichtsdestotrotz bestehe innerhalb der internationalen Gemeinschaft zumindest Einigkeit darüber, dass mit Good Governance v.a. Parameter, wie der Schutz der Menschenrechte, Fortschritte in Sachen Demokratisierung sowie eine intakte Rechts- und Sozialstaatlichkeit, verknüpft sein müssten.
Im Hinblick auf die bisherige deutsche Afghanistan-Politik seit 2001, die sich an den Zielvorgaben der Good Governance-Kriterien messen lassen müsse, kommt Schnurr zu einem ernüchternden, aber nicht zu einem entmutigenden Ergebnis.
Die afghanische Tradition schwacher Staatlichkeit, die nach wie vor prekäre Sicherheitslage sowie die vielerorts vorherrschende Schattenökonomie untergrüben die frisch errichteten und die noch in der Entstehung begriffenen staatlichen Strukturen. Deshalb sei es zwingend erforderlich, den Einfluss und die Gewalt seitens lokaler Warlords und der Terroristen noch entschiedener als bisher zu unterbinden. Ein anderer Hauptkritikpunkt Schnarrs bezieht sich auf die humanitären und zivilen Projekte in Afghanistan, die ihrer Meinung nach – wie so viele andere Dinge – finanziell noch stärker gefördert werden müssten.
Das nach dem Sturz der Taliban gesamtgesellschaftlich betrachtet erfreulichste Ergebnis sei vielleicht die Präsidentenwahl im November 2004 gewesen, an der 80% der wahlberechtigten Afghaninnen und Afghanen ihre Stimme abgaben.
Alles in allem, so lässt sich Schnarrs Erkenntnis zusammenfassen, führe die Strategie der Good Governance Afghanistan auf den richtigen Weg, vieles müsse die internationale Gemeinschaft, Deutschland und Afghanistan in ihren Bemühungen, Frieden und Ordnung zu schaffen, aber noch besser machen.
Diesen Standpunkt vertritt Schnarr sicherlich nicht allein. Im Gegenteil: tatsächlich sind zumindest betreffs des ISAF-Einsatzes (bis auf die Linkspartei) alle Bundestagsfraktionen, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie das Auswärtige Amt mehr oder weniger geschlossen der Überzeugung, die Zielrichtung der deutschen Afghanistan-Politik stimme. Dass zu einer endgültigen Stabilisierung und Befriedung Afghanistans noch weitere Anstrengungen unternommen werden müssen, versteht sich von selbst. Schnarrs Arbeit bereichert also keineswegs das tagtäglich über die Medien vermittelte Standardwissen über Afghanistan und den Terrorismus bzw. das, was man allgemein dazu zu wissen glaubt. So verwendet sie beispielsweise einige Seiten des Buches dafür, das Neuartige am transnationalen Terrorismus aufzuzeigen, bleibt dabei aber eher oberflächlich und lässt sich nicht auf eine tiefere inhaltliche Auseinandersetzung mit der Ideologie und den religiösen Wertvorstellungen der Terroristen ein. Interessante Fragen wie diese, ob die Ideologie der Terroristen tatsächlich religiös motiviert oder ob Religion nur ein Vorwand zum Extremismus ist, werden demnach leider ausgespart. Weiter ist zu bemängeln, dass das Konzept der Good Governance von ihr sehr theoretisch als Allheilmittel gegen Staatszerfall und Terrorismus angeführt wird, ohne dies anhand anschaulicher praktischer Beispiele zu belegen. Zahlenbeispiele, die einen Fortschritt im Bezug auf state- und nation-building dokumentieren könnten, werden so gut wie nicht genannt. Trotz allem ist das Buch als Einführungsliteratur, das einen Überblick über die Kernprobleme Afghanistans verschafft, durchaus geeignet.
Das Buch ist strukturell klar gegliedert: etwa bis zur Hälfte des Buches wird ganz allgemein das Wesentliche einer „guten Regierungsführung“, der transnationale Terrorismus und die Problematik fragiler Staatlichkeit vorgestellt und miteinander in Verbindung gebracht; im Rest des Buches münzt die Autorin ihre gewonnen Erkenntnisse auf das Beispiel Afghanistan und versucht daraus Schlüsse für eine sinnvolle Afghanistan-Politik zu ziehen. Eine klare Linie ist also erkennbar. Schnarrs Sprachstil der kurzen und prägnanten Sätze ist sachlich und unkompliziert, sodass einem das Lesen leicht fallen dürfte. Auch die Kürze der einzelnen Unterkapitel trägt dazu bei, den Lesestoff schnell und ohne Konzentrationsverschleiß nach und nach abzuarbeiten. Zu der Quellenauswahl der Arbeit ist zu bemerken, dass sich Schnarr fast ausschließlich auf sozialwissenschaftliche Publikationen sowie auf Veröffentlichungen des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stützt. Leute aus der Politik werden nur vereinzelt zitiert.
Insgesamt wird die Arbeit – gemessen an ihrem relativ überschaulichem Umfang von 132 Seiten – ihrem Anspruch, ein grobes Bild über die Wirksamkeit und die bisherigen Erfolge des Good Governance in Afghanistan zu zeichnen, gerecht. Die Betonung liegt auf ‚grob’. Wer sein Wissensschatz über das geläufige Basiswissen hinaus wirklich verfeinern will, muss sich anderweitig umsehen. Der Ladenpreis des Buches ist mindestens um die Hälfte zu hoch.
Freitag, 9. November 2007
Satire wider dem politischen Ernst (Teil1)
Dazu muss ich Ihnen ehrlicherweise folgendes sagen: Ihre Fragen sind genauso müde wie mein Gesicht. Was euereins mit dem Prädikat des seriösen Journalismus etikettiert, bezeichne ich an dieser Stelle mal ganz unverblümt als eine Art pornösen Analismus! Was ich ihnen damit in aller Deutlichkeit sagen will: Ihr wollt die Politiker nur in den Arsch fi**en und damit Auflage oder Quote machen. Wir als Regierung sind zwar das ausführende Organ, wir wollen aber nicht eure Ar***löcher sein. So schimpft ihr uns Politiker ständig, Lügner und Betrüger zu sein. Aber ist nicht der ganze Schei**haufen aus Politik, Wirtschaft und Medien verlogen? Es heißt doch, nur Kinder und Säufer sagten die Wahrheit. Also, warum sollen wir Kindern unter 16 Jahren dann das Komasaufen verbieten? Eine betrunkene Jugend kann den Karren aus dem Dreck ziehen. Dafür werden meine Partei und ich in den nächsten Wahlkampf ziehen. Danke.
Satire wider dem politischen Ernst (Teil2)
Herr Beck, wie erklären sich ihre schlechten persönlichen Umfragewerte?
Meine Zweifler unterstellen mir fehlende Führerqualitäten, pardon Führungsqualitäten.
Aber ich persönlich glaube: ich bin zu dick.
Aber Herr Kohl wurde doch auch mit jedem Jahr als Kanzler fülliger…
Stimmt. Dann sind es eben doch meine schlecht ausgebildeten Führerqualitäten.
Und wie erklären sie sich das Umfragetief ihrer Partei allgemein?
Nun ja, ich stehe dieser Partei vor - das färbt natürlich auf die Partei ab. Womit ich nicht sagen will, dass ich allein an der Misere Schuld bin.
Sondern?
Naja, schließlich sind auch Herr Steinmeier und Steinbrück nicht gerade dünn…
Themawechsel: Rückt Ihre Partei mit der Forderung, das ALG I für Ältere zu verlängern, nach links?
Kurzfristig schon, aber auf längere Sicht, so hat der Parteivorstand gestern heimlich beschlossen, wollen wir die territoriale Wiedereingliederung Polens in die BRD durchsetzen. Und das ist nun ja ein eher rechtes Anliegen.
Ich bin überrascht. Nun, da Sie uns das vor laufender Kamera verraten haben, ist Ihr Plan ja jetzt kein Geheimnis mehr.
Oh ähhm. Ich meine natürlich: das ist der Plan der Grünen.
Ach so… Abschließende Frage: Wer wird SPD-Kanzlerkandidat 2009?
Die Katze, die ich gestern gesehen habe.
Ich danke Ihnen.
Danke auch.
Freitag, 26. Oktober 2007
Geld aus Schuld
Geld aus Schuld (original: Money as debt)
Den meisten kommt auf die Frage, wo den das Geld überhaupt herkommt, das Bild der Münzanstalten in den Sinn, die Noten druckt und Münzen presst. Geld, so glauben die meisten, wird von der Regierung hergestellt. Das stimmt aber nur teilweise. Geld wird tatsächlich von einer Behörde des Staates hergestellt. (Bei uns diverse nationale Münzstationen). Aber der Großteil des Geldes kommt nicht von diesen Anstalten, er wird hergestellt – alltäglich in riesigen Mengen – von privaten Gesellschaften, die sich Banken nennen. Die meisten von uns glauben, Banken verliehen Geld, das ihnen andere anvertraut haben – leicht vorstellbar, aber nicht die Wahrheit. Tatsächlich schaffen Banken das Geld, das sie verleihen – es stammt weder aus ihren eigenen Einnahmen, noch aus verwalteten Guthaben, sondern unmittelbar aus dem Versprechen des Schuldners, es zurückzuzahlen. Des Schuldners Unterschrift auf dem Vertrag stellt eine Verpflichtung dar, der Bank das Geld zurückzuzahlen – plus Zinsen oder das Haus, das Auto oder sonstiger Güter zu verlieren, die man als „Sicherheit“ vorweisen muss. Das ist eine bedeutende Verbindlichkeit für den Schuldner. Zu was verpflichtet sich die Bank durch diese Unterschrift? Die Bank darf nun das Volumen des Kredits herbeizaubern und einfach auf das Konto des Schuldners buchen. Klingt unglaublich? Aber das ist es.
Um zu zeigen, wie es zu diesem „Wunder“ des modernen Bankwesens kam, betrachten wir einmal „Das Märchen des Goldschmieds“: Früher einmal, da wurde fast alles als Geld benutzt, es musste nur handlich sein und für viele Leute einen Wert darstellen, sodass man es als Tauschmittel benutzten konnte, etwa für Nahrung, Kleidung und Unterkunft. Muscheln, Kakaobohnen, hübsche Steine – selbst Federn wurden schon als Geld genutzt. Gold und Silber waren reizvoll, weich und einfach zu verarbeiten, daher wurden einige Kulturen sehr erfahren im Umgang mit diesen Metallen. Goldschmiede erleichterten den Handel, indem sie Münzen gossen – genormte Einheiten dieser Metalle, deren Gewicht und Reinheit zertifiziert waren. Aber um sein Gold zu schützen, brauchte der Goldschmied einen Tresor, und schon bald standen seine Mitmenschen vor seiner Tür, die Platz im Tresor mieten wollten, um auch ihr Gold zu schützen. Rasch hatte der Goldschmied allen Platz im Tresor vermietet, und verdiente ein wenig in seinem Tresor-Mietgewerbe. Jahre gingen ins Land, da machte der Goldschmied eine gerissene Beobachtung. Einleger kamen selten herein, um ihr eigentliches Gold abzuholen, und sie kamen niemals alle gemeinsam. Und zwar deshalb, weil die „Schecks“, die der Goldschmied als Quittungen für das Gold geschrieben hatte, auf dem Markt gehandelt wurden, als wären sie das Gold selbst. Dieses Papiergeld war sehr viel praktischer als schwere Münzen, und Mengen konnten einfacher beziffert werden, anstatt mühsam einzeln gezählt werden zu müssen. Inzwischen führte der Goldschmied ein weiteres Geschäft: Er verlieh sein Gold gegen Zinsen. Als sein praktisches Scheckgeld in Umlauf kam, verlangten Schuldner Kredite zunehmend in Scheckgeld anstatt des tatsächlichen Metalls. Als die Wirtschaft wuchs, wollten mehr und mehr Leute Kredite vom Goldschmied. Da kam dem Goldschmied eine noch bessere Idee: Er wusste, dass nur sehr wenige seiner Einleger jemals ihr tatsächliches Gold zurücknehmen, da dachte er, er könne mit Leichtigkeit Schecks ausstellen, die vom Gold seiner Einleger gedeckt würden, zusätzlich zu seinen eigenen. Solange diese Kredite zurückgezahlt würden, merkten seine Kunden davon gar nichts und blieben schadlos.
Während der Goldschmied – nun eher Bankier als Handwerker – einen weit größeren Profit machte, als er könnte, wenn er nur sein eigens Geld verlieh. Jahrelang genoss der Goldschmied so im Geheimen ein gutes Einkommen – von den Zinsen seiner Einlagen und der seiner Einleger. Nun ein bedeutender Geldgeber, wurde er ständig reicher als seine Mitbürger, und er zeigte es auch. Der Verdacht regte sich, er gebe das Geld seiner Einleger aus. Seine Einleger kamen zusammen und drohten damit, ihr Gold zurückzufordern, sollte der Goldschmied nicht auspacken, woher sein plötzlicher Wohlstand kam. Entgegen möglicher Erwartungen war das keine Katastrophe für den Goldschmied. Trotz seines doppelten Spiels funktionierte sein Plan: Die Einleger hatten überhaupt nichts verloren – ihr Gold war alles im Tresor in Sicherheit. Anstatt ihr Gold zurückzunehmen, forderten die Einleger, dass der Goldschmied – nun ihr Bankier – sie beteilige, indem er ihnen Zinsen zahlte. Das war der Anfang des Bankwesens. Der Bankier bezahlte einen geringen Zins auf Einlagen des Geldes anderer Leute, das er dann wiederum anderen zu höheren Zins verlieh. Die Differenz deckte die Unterhaltskosten der Bank und ihren Profit. Die Logik dieses Systems ist einfach, und sie erscheint wie ein sinnvoller Weg, die Nachfrage nach Krediten zu decken. Allerdings ist das nicht die Weise, wie das Bankwesen heutzutage funktioniert. Unser Goldschmied/Bankier war nicht zufrieden mit dem Einkommen, das blieb, nachdem die Zinsen mit seinen Einlegern geteilt waren. Und die Nachfrage nach Krediten wuchs rapide, als die Europäer weltweit ausströmten. Aber Kredite waren durch die Menge an Gold im Tresor eingeschränkt. Dann hatte er eine noch dreistere Idee: Da niemand außer im selbst wusste, wie viel überhaupt in seinem Tresor war, konnte er sogar Schecks verleihen, die überhaupt nicht durch Gold gedeckt wären – solange alle Scheckbesitzer nicht gleichzeitig zum Tresor kämen, um ihr Gold abzuholen, wie sollte es jemand bemerken? Diese neue Intrige funktionierte sehr gut und der Bankier wurde reich durch Zinsforderungen für Gold, das gar nicht existierte. Diese Vorstellung, dass der Bankier einfach Geld aus dem Nichts schaffen könne war zu unerhört, um geglaubt werden zu können, also kam dieser Gedanke den Leuten lange nicht. Aber die Macht, Geld einfach zu „erfinden“, stieg dem Bankier zu Kopf, wie man sich wohl vorstellen kann. Mit der Zeit erregten das Ausmaß der Kredite und der pompöse Reichtum des Bankiers einmal mehr Verdacht. Einige Kreditnehmer verlangten wieder echtes Gold anstatt der papierenen Schecks. Gerüchte gingen um – plötzlich tauchten einige reiche Einleger auf, um ihr Gold zurückzufordern. Das Spiel war aus: Ein Meer von Scheckbesitzern versammelte sich auf der Straße vor den verschlossenen Türen der Bank. Tja, leider hatte der Bankier nicht genug Gold und Silber, um all das Papiergeld auszuzahlen, das er ihnen gegeben hatte. So etwas nennt man „Ansturm auf die Bank“ und das ist es, wovor sich jeder Bankier fürchtet. Dieses Phänomen eines Ansturms auf die Bank ruiniert einzelne Banken und, kaum überraschend, schädigt es zudem das öffentliche Vertrauen in alle Bankiers. Es wäre nahe liegend gewesen, die Praxis der „Gelderschaffung aus dem Nichts“ für illegal zu erklären, aber die großen Mengen an Krediten, die die Bankiers anboten, waren für den Erfolg des europäischen Wirtschaftswachstums notwendig geworden. Also wurde diese Praxis stattdessen legalisiert und reguliert. Die Bankiers verpflichteten sich, Beschränkungen auf die Menge des fiktiven Schuldgeldes zu achten. Diese Schranke wäre weiterhin eine viel größere Zahl als die tatsächliche Menge an Gold und Silber im Tresor. Sehr oft war das Verhältnis 9:1. Diese Regeln wurden durch Stichproben durchgesetzt. Es wurde auch abgemacht, dass im Falle eines Ansturms die Zentralbank örtliche Banken mit Notfalleinlagen unterstützen würde. Nur durch einen ausgedehnten Ansturm auf mehrere Banken gleichzeitig könnte die Kreditblase platzen und das System zusammenbrechen.
Das Geldsystem von heute
Über die Jahre wurde das „fractional reserve system“ und seine integrierten Banken, die von der Zentralbank geschützt werden, das beherrschende Geldsystem der Welt. Gleichzeitig wurde der Bruchteil des Goldes, der das Schuldgeld deckt, ständig kleiner – bis nichts mehr übrig blieb. Das grundlegende Wesen von Geld hat sich verändert: Früher verkörperte Geld einen Wert, heute repräsentiert es nur Schuld! Früher war der Papierdollar tatsächlich eine Quittung, die man bei der Zentralbank gegen eine feste Menge Gold oder Silber umtauschen konnte. Heutzutage kann man einen Papier- oder Digitaldollar nur gegen einen weiteren solchen umtauschen. Früher gab es privat geschaffene Kredite nur in Form privater Banknoten, die Leute als Zahlungsmittel ablehnen konnten, so, wie wir heute private Schecks ablehnen können. Heutzutage ist der privat geschaffene Kredit direkt tauschbar in „Fiat-Währung“ der Regierung – Die Dollars, Euros und Pfund, die wir gewohnheitsmäßig als Geld ansehen. Nun stellt sich also die Frage: Wenn Regierungen und Banken beide einfach Geld erschaffen können, wie viel Geld gibt es denn dann? In der Vergangenheit war die komplette Menge Geld, die es gab, beschränkt durch die tatsächlich, physische Menge an Gütern und Dienstleistungen, die als Geld genutzt wurden. Zum Beispiel: Um neues Gold- oder Silbergeld zu erschaffen, musste neues Gold oder Silber erst einmal gefunden und geschürft werden. Heutzutage wird Geld buchstäblich als Schuld erzeugt. Neues Geld wird geschaffen, wann immer jemand einen Kredit von der Bank annimmt. Folglich ist die Menge an Geld, die geschaffen werden kann, nur durch einen einzigen Parameter eingeschränkt ist: Dem kompletten Maß der Verschuldung. Regierungen schaffen ein zusätzliches satzungsmäßiges Limit auf die Geldmenge, indem sie Grenzwerte festlegen, die „fractional reserve requirements“ genannt werden. Im Wesentlichen mutwillig, sind diese Grenzwerte von Land zu Land und Zeit zu Zeit unterschiedlich. Früher war es üblich, wenigstens Gold im Wert eines Dollars als Deckung für zehn ungedeckte Dollars zu haben. Heutzutage gelten die Grenzwerte nicht länger für das Verhältnis Geld zu Gold, sondern gerade mal für das Verhältnis neues Schuldgeld zu vorhandenem Schuldgeld. Gegenwärtig bestehen die Reserven einer Bank aus zwei Dingen: der Menge an Bargeld oder Vergleichbarem, das die Bankiers bei der Zentralbank eingelegt haben, und der Menge an bestehendem Schuldgeld, das die Bank als Einlagen hat. Um das einfach zu veranschaulichen, stellen wir uns einmal vor, dass eine neue Bank gerade neu eröffnet hat und noch keinen Einleger hat. Allerdings haben die Investoren der Bank eine Einlage von 1.000$ – also tatsächlich vorhandenes Bargeld – bei der Zentralbank gemacht. Das benötigte Verhältnis von Schuldgeld zu Bargeld ist 9:1.
1. Schritt: die Türen sind geöffnet und die neue Bank begrüßt ihren ersten Kreditnehmer. Ein Mann braucht 9.000$, um ein Auto zu kaufen. Das Verhältnis von 9:1 erlaubt der Bank, durch ihre Reserven bei der Zentralbank – auch als „Turbogeld“ bekannt – einfach und ganz legal Geld zu „erfinden“, und zwar die neunfache Menge. Also 9.000$ auf Grundlage der Verpflichtung des Kreditnehmers. Diese 9.000$ kommen nirgendwo her – es ist einfach brandneues Geld, einfach in das Konto des Kreditnehmers getippt – als Bankkredit. Der Schuldner stellt dann einen Scheck darauf aus, um das Auto zu kaufen.
2. Schritt: die Verkäuferin des Autos löst nun diesen frisch erschaffenen Kredit von 9.000$ bei ihrer Bank ein. Im Gegensatz zum „Turbogeld“, eingelegt bei der Zentralbank, dürfen diese 9.000$ nicht mit dem festgelegten Verhältnis multipliziert werden – stattdessen wird es dadurch geteilt. Bei einem Verhältnis von 9:1 kann also immerhin ein weiterer Kredit von 8.000$ ausgestellt werden, auf der Grundlage des 9.000$ Schecks.
3. Schritt: Werden diese 8.000$ dann von einer 3. Partei bei derselben Bank eingezahlt, die sie geschaffen hat, oder auch bei einer anderen Bank, so entstehen daraus wiederum weitere Kredite, diesmal im Wert von 7.200$. Wie eine russische Matuschka, bei der jede Hülle eine weitere, kleinere beinhaltet, ermöglicht jede solche Einlage einen weiteren, kleineren Kredit – in einer unendlichen, fallenden Reihe.
Nun, wenn das erschaffene Schuldgeld nicht bei einer Bank landet, dann endet dieser Vorgang. Das ist der unvorhersehbare Teil des Gelderschaffungsmechanismus. Wahrscheinlich aber ist es, dass die Kredite bei jedem Schritt wieder ihren Platz bei einer Bank finden und der anschließende Vermehrungsprozess sich immer und immer wiederholen kann, bis irgendwann 100.000$ brandneues Geld im Bankensystem erschaffen wurden. Dieses ganze neue Geld wurde vollständig aus Schulden erschaffen, und der gesamte Prozess war gesetzlich erlaubt auf der Grundlage der eingänglichen Reserven von 1.000$ echten Dollars, die immer noch unberührt bei der Zentralbank liegen.Darüber hinaus: In diesem raffinierten System müssen die Bücher aller Glieder der Kette nachweisen, dass die Bank stets 10% mehr Ein- als Auslagen hat. Das gibt Banken einen echten Anreiz, Einlagen zu bekommen, um Kredite geben zu dürfen. Nur falls alle nachfolgenden Kredite bei derselben Bank landeten, könnte man sagen, dass eine Bank ihre anfänglichen „Turbogeldeinlagen“ von 1.000$ auf fast 100-fache Größe vermehrt hat, indem sie Bankkredite aus dem Nichts ausstellte. Allerdings ist das Bankensystem ein geschlossener Kreislauf – Bankeinlagen von einer Bank werden zu Einlagen bei einer anderen und umgekehrt. Im Idealfall völlig gleichberechtigter Umsätze wäre der schlussendliche Effekt genau derselbe, als würde der gesamte Prozess an nur einer Bank stattfinden. Und zwar: Die ursprünglichen Einlagen der Bank bei der Zentralbank im Wert von 1.000$ ermöglichen es ihr, im Endeffekt Zinsen auf bis zu 100.000$ zu beziehen, die die Bank nie besaß. Banken verleihen Geld, das sie nicht haben! Wenn das lächerlich anmutet, schaut hier: In den letzten Jahrzehnten sind durch beständigen Lobbyismus der Banken die Bedingungen, um neue Einlagen in der Zentralbank zu machen, in manchen Ländern so gut wie aufgehoben worden und das tatsächliche Verhältnis ist nicht unbedingt länger 9:1. Für manche Gattungen von Bankkonto sind 20:1 oder auch 30:1 üblich. In manchen Fällen gibt es gar keine Reserven. In jüngerer Zeit, in der man Kreditgebühren nutzt, um die nötigen Reserven vom Kreditnehmer zu beziehen, haben Banken einen Weg gefunden, Reservebedingungen komplett zu umgehen. Also auch wenn die Regeln komplex sind, merkt der gesunde Menschenverstand: Banken können soviel Geld erschaffen, wie wir leihen können.
Trotz der ständig gezeigten Münzanstalten macht von der Regierung ausgestelltes Geld normalerweise weniger als 5% der Geldmenge im Umlauf aus. Mehr als 95% alles heutzutage vorhandenen Geldes wurde erschaffen, indem jemand mit seiner Unterschrift eine Schuldverpflichtung gegenüber einer Bank einging. Hinzu kommt, dass dieses Schuldgeld in großen Mengen geschaffen und vernichtet wird – jeden Tag – indem neue Schulden gemacht werden und alte abbezahlt werden.
Banken können dieses Geldsystem nur betreiben, wenn die Regierung kooperiert. Zunächst verabschieden Regierungen Gesetze, die eine Währung als gesetzliches Zahlungsmittel etablieren. Dann erlauben es Regierungen den privaten Banken, Kredite in dieser Währung auszuzahlen. Weiterhin setzen staatliche Gerichte Schuldforderungen um. Zuguterletzt verabschieden Regierungen Regelungen, um die Funktionalität und Glaubwürdigkeit dieses Geldwesens in den Augen der Öffentlichkeit zu sichern, während sie rein gar nichts tun, um die Öffentlichkeit darüber zu informieren, woher Geld eigentlich kommt.Die einfache Wahrheit lautet: sobald wir auf der gepünktelten Linie unterschreiben, um einen so genannten Kredit zu erhalten, ist das einzige wirklich wertvolle bei diesem Handel unsere Verpflichtungen, ihn zurückzuzahlen. Denn Letztere ist abgesichert durch die Güter, die wir als Sicherheit angeben und im Falle der Insolvenz abgeben müssen. Für jeden der glaubt, dass wir unsere Verpflichtungen nachkommen werden, stellt dieser Vertrag oder Pfand ein handliches, tauschbares und verkäufliches Stück Papier dar. Es ist ein Schuldschein, der einen echten Wert darstellt und daher eine Art Geld ist. Es ist genau das Geld, das der Schuldner gegen seinen so genannten Kredit tauscht. Nun bedeutet aber ein Kredit in der echten Welt, dass der Geber etwas zu verleihen haben muss. Wenn man einen Hammer benötigt, wird die Leihgabe eines Hammers, den es nicht gibt, nicht viel helfen. Aber in der künstlichen Welt des Geldes darf das Versprechen einer Bank, Geld zurückzuzahlen, das sie nicht hat, als Geld verbreitet werden und wir akzeptieren es als solches. Sobald der Kreditnehmer den Schuldvertrag unterschreibt, erfüllt die Bank ihren Teil des Handels, indem sie mit wenigen Tastenanschlägen ein entsprechendes Guthaben des Schuldners bei der Bank erschafft. Vom Standpunkt des Schuldners wird daraus Schuldgeld auf seinem oder ihrem Konto. Weil die Regierung zulässt, dass die Schuld der Bank gegenüber dem Kreditnehmer in Fiatwährung der Regierung verwandelt werden kann, muss jeder dieses so annehmen – als Geld. Und wieder ist die zugrunde liegende Wahrheit sehr einfach: Ohne den Schuldvertrag, den der Kreditnehmer unterschrieben hat, hätte der Bankier rein gar nichts zu verleihen.
Haben sie sich je gewundert, wie jeder – Regierungen, Konzerne, kleine Unternehmen, Familien – alle gleichzeitig verschuldet sein können, und in diesem astronomischen Ausmaß? Haben sie sich je gefragt, wie überhaupt soviel Geld zum Verleih existieren kann? Jetzt wissen sie es! Banken verleihen kein Geld, sie erschaffen es ganz einfach aus Schulden. Und da Schulden potentiell unbegrenzt sind, ist es auch der Nachschub an Geld. Und wie sich herausstellt, ist das Gegenteil ebenfalls wahr: Keine Schulden, kein Geld. Ist es nicht erstaunlich, dass trotz des unglaublichen Reichtums an Ressourcen, Innovation und Produktivität, die uns umgeben, beinahe jeder von uns – von der Regierung über Unternehmen bis zu Individuen – schwer bei den Bankiers verschuldet sind? Wenn die Leute nur innehalten und nachdenken würden. Wie kann das sein? Wie kann es sein, dass die Leute, die tatsächlich den ganzen Reichtum in der Welt herstellen, verschuldet sind – bei denen, die gerade mal das Geld verleihen, das diesen Reichtum darstellt. Noch erstaunlicher ist, dass sobald wir begreifen, dass Geld eigentlich Schuld ist, wir begreifen, dass, würde es keine Schulden geben, es gar kein Geld gäbe. Die meisten stellen sich vor, wenn alle Schulden abbezahlt wären, täte es der Wirtschaft gut. Das stimmt sicherlich von einem persönlichen Standpunkt: Genau wie wir mehr Geld zum Ausgeben haben, sobald unsere Kreditabzahlung beendet sind, glauben wir, dass falls jeder schuldenfrei wäre, es insgesamt mehr Geld zum Ausgeben gäbe. Aber genau das Gegenteil wäre der Fall: Es gäbe überhaupt gar kein Geld mehr. So ist es also: wir sind vollkommen abhängig von ständig neuen Bankkrediten, damit es überhaupt Geld gibt. Keine Kredite, kein Geld – genau das, was während der Wirtschaftskrise passierte. Der Geldnachschub schwand drastisch, als der Nachschub an Krediten nachließ. Wenn die Banken reichlich künstliches Geld herstellen, herrscht Wohlstand.
Fortwährende Schulden
Und das ist noch nicht alles: Banken erschaffen nur das Grundkapital. Sie erschaffen nicht die Menge, die für die Zinsen erforderlich ist. Doch wo soll die herkommen? Der einzige Ort, an den Schuldner gehen können, um das Geld zu bekommen, um die Zinsen zu bezahlen, ist die allgemein zugängliche Geldmenge. Aber fast alles darin wurde auf genau dieselbe Weise erschaffen – als Bankkredit der zurückbezahlt werden muss – mit mehr, als erschaffen wurde. Also gibt es überall andere Schuldner in derselben Lage: Verzweifelt versuchend, das Geld zu bekommen, dass sie brauchen, um Schulden und Zinsen zurückzuzahlen – aus der gesamten Geldmenge, die nur auf Grundschulden beruht. Es ist eindeutig unmöglich, dass jeder Grundschuld und Zinsen zurückzahlen kann, da das Geld für die Zinsen nun mal nicht existiert. Das große Problem ist, dass bei langfristigen Krediten, wie Hypotheken und Staatsverschulden, die totalen Zinsen bei weitem die Grundschuld übertreffen. Es sei denn es wird eine Menge zusätzliches Geld erschaffen, um die Zinsen zu zahlen. Das führt zu einer sehr hohen Zahl an Insolvenzen und Schließungen und einer nicht funktionierenden Wirtschaft. Um eine funktionierende Gesellschaft aufrechtzuerhalten, muss die Quote der Insolvenzen niedrig sein. Um das zu erreichen, muss immer mehr Schuldgeld erschaffen werden, um den heutigen Bedarf an Geld zu stillen, also nur um Zinsen zu bezahlen. Aber selbstverständlich wird dadurch die Gesamtschuld größer und das führt zu immer mehr Zinsen, was schließlich auf eine dauerhaft eskalierende und unausweichliche Spirale expotentiell steigender Verschuldung hinausläuft. Es liegt nur an der Zeitverzögerung zwischen der Gelderschaffung als Krediten und seiner Zurückzahlung, dass die allgemeine Geldknappheit nicht die Tatsachen einholt und das System zusammenbricht. Wie dem auch sein, während das unersättliche Kreditmonster der Banken größer und größer wird, wird die Notwendigkeit, mehr und mehr Geld zu erschaffen, um es zu füttern, immer dringlicher. Wieso sind die Zinssätze so niedrig? Wieso erhalten wir unaufgefordert Kreditkartenwerbung mit der Post? Wieso gibt die US Regierung Geld schneller aus als je zuvor? Könnte es ein Aufschieben des Zusammenbruchs des gesamten Geldsystems sein? Ein vernünftiger Mensch muss fragen: Kann das echt ewig so weitergehen? Ist ein Zusammenbruch nicht unausweichlich?
Geld vereinfacht Produktion und Handel. Steigt der Geldnachschub, verliert Geld zunehmend an Wert – es sei denn die Menge an Handel und Gütern steigt proportional. Es wird gesagt, die Wirtschaft wachse um 3% pro Jahr. Das klingt wie eine stetige Rate, aber das ist sie nicht. 3% in diesem Jahr stellen mehr Güter und Dienstleistungen dar als 3% im letzten Jahr, denn es sind 3% des neuen Gesamtwertes. Statt einer Geraden, die man sich anhand der Worte vorstellt, ist es in Wirklichkeit eine expotentielle Kurve, die steiler und steiler wird. Das Problem ist natürlich, dass ständiges Wachstum der echten Wirtschaft ständig ansteigenden Gebrauch von Rohstoffen und Energie erfordert. Mehr und mehr Dinge müssen aus Rohstoffen in Müll verwandelt werden, jedes Jahr, bis in alle Ewigkeit – Nur um den Zusammenbruch des Systems abzuhalten. Was können wir gegen diese geradezu Furcht einflößende Lage tun? Eine Sache wäre, ein grundverschiedenes Konzept von Geld anzuerkennen. Es ist an der Zeit, dass mehr Leute sich und ihren Regierungen vier einfache Fragen stellen. Rund um die Welt leihen Regierungen Geld gegen Zinsen von privaten Banken – Staatsverschuldung ist ein wesentlicher Teil der Totalverschuldung. Die Zinsen zu decken bedarf eines großen Teils unserer Steuern. Nun wissen wir, dass Banken das Geld, das sie verleihen, einfach „erfinden“ und Regierungen haben ihnen die Erlaubnis erteilt, das zu tun. Die erste Frage ist: Warum leihen Regierungen das Geld von privaten Banken gegen Zinsen, wenn sie das Geld, das sie benötigen, genauso gut selbst – und zinsfrei – erstellen könnten? Die zweite Frage lautet: Wieso überhaupt Geld als Schuld generieren? Wieso nicht Geld schaffen, das ständig umläuft, und nicht fortwährend gegen Zinsen erneut geliehen werden muss, um überhaupt zu existieren? Die dritte Frage: Wie kann ein Geldsystem, das nur unter andauern beschleunigtem Wachstum funktioniert, genutzt werden, um eine nachhaltige Wirtschaft zu schaffen? Ist es denn nicht einleuchtend, dass andauernd beschleunigtes Wachstum und Nachhaltigkeit inkompatibel sind? Zuguterletzt: Warum ist unser jetziges System vollständig abhängig von andauerndem Wachstum? Was muss geändert werden, um die Entstehung einer nachhaltigen Wirtschaft zu ermöglichen?
Wucher
Es gab eine Zeit, da wurden jegliche Zinsnahmen auf Kredite als Wucher bezeichnet und mit harten Strafen geahndet, bis hin zum Tod. Jede große Religion verbat Wucher. Die meisten Argumente gegen diese Praxis waren moralischer Natur. Es war anerkannt, dass der einzige legitime Zweck des Geldes die Vereinfachung des Handels echter Güter und Dienstleistungen war. Jedwede Art, Geld zu verdienen einfach indem man Geld hatte, wurde als Verhalten eines Parasiten angesehen – oder eines Diebes. Als jedoch der Kreditbedarf des Handels anstieg wurden moralische Argumente schließlich durch das Argument abgelöst, dass Geldverleih ein Risiko beinhalte als auch eine Gelegenheitseinbuße des Verleihers, und somit das Bestreben des Verleihers, einen Profit daraus zuschlagen, berechtigt sei. In der heutigen Zeit erscheint dieser Gedanke altmodisch. Heutzutage wird das Prinzip, Geld aus Geld zu machen, als Ideal angesehen, das man anstrebt – wieso sollte man arbeiten, wenn man sein Geld für sich „arbeiten“ lassen kann? Jedoch, wenn man versucht sich eine nachhaltige Zukunft vorzustellen, ist klar, dass Zinsnahme nicht nur unmoralisch, sondern auch ein handfestes, systematisches Problem ist. Stellen sie sich ein Gesellschaft und Wirtschaft vor, die über Jahrhunderte überdauern kann, denn, anstatt ihre Hauptvorräte an Energie zu plündern, beschränken sie sich auf ihren täglichen Ertrag. Es wird nicht mehr abgeholzt als in derselben Zeit nachwächst. Diese Gesellschaft lebt innerhalb der Grenzen ihrer nicht erneuerbaren Rohstoffe, indem sie alles wieder verwendet und recycelt. Die Bevölkerung erhält sich selbst und bleibt stabil. Eine solche Gesellschaft könnte niemals funktionieren auf Grundlage eines Geldsystems, das vollkommen von andauernd beschleunigten Wachstum abhängt. Eine stabile Wirtschaft würde ein Geldwesen benötigen, das zumindest in der Lage ist, stabil zu bleiben ohne zu kollabieren. Nehmen wir an, ein kreisrunder Kuchen stellt das Gesamtvolumen einer stabilen Geldmenge dar. Nehmen wir weiterhin an, dass Geldverleiher tatsächlich Geld besitzen müssen, um es zu verleihen. Wenn nun manche innerhalb dieser Geldmenge anfingen, systematisch Geld gegen Zins zu verleihen, würde ihr Anteil an der Geldmenge wachsen. Wenn sie alles beständig weiterverleihen würden – eingeschlossen der eingenommenen Zinsen – was wäre das unausweichliche Ergebnis? Ob nun Gold, Fiat- oder Schuldgeld – es ist gleich: Die Geldverleiher hätten schließlich alles Geld. Und nach den Schließungen und Insolvenzen sogar noch alle echten Besitztümer. Nur wenn die Gewinne des Verleihs gegen Zins gleichmäßig innerhalb der Bevölkerung verteilt würden, wäre das Kernproblem beseitigt. Schwere Besteuerung von Bankgewinnen könnte dieses Ziel erreichen – aber wieso sollten Banken dann weiterhin Interesse an ihrem Geschäft haben? Wenn wir jemals in der Lage sein wollen, uns aus der derzeitigen Lage zu befreien, könnten wir uns das Bankenwesen, geführt als gemeinnützigen Dienst an der Gesellschaft vorstellen, der die Zinseinnahmen als allgemeine Bürgerdividende ausschüttet – oder verleiht ohne überhaupt Zinsen zu verlangen.
Das System verändern
Wenn es die grundlegende Natur des Systems ist, die die Probleme verursacht, wird das Drehen an ein paar Stellschrauben im Grunde nichts bewirken. Das System selbst muss ausgetauscht werden. Viele Kritiker des Geldwesens fordern eine Rückkehr zum Gold gedeckten Geld und behaupten, Gold habe eine lange Geschichte der Verlässlichkeit. Sie vernachlässigen aber die vielen Schwindel, die mit Gold betrieben werden können: Münzen abschaben, das Metall verdünnen, den Markt bestimmen – was alles reichlich im alten Rom betrieben wurde und zu seinem Niedergang beitrug. Manche befürworten Silber, da es häufiger vorkommt als Gold und es deswegen schwieriger zu monopolisieren ist. Viele stellen sich die Frage, ob man überhaupt zurück zu Edelmetallen wechseln sollte – niemand möchte wieder schwere Beutel mit Münzen herumschleppen, um einkaufen zu gehen. Mit Sicherheit wäre Papier-, Digital-, Plastik- oder biometrisch gekennzeichnetes Geld tatsächliche das Tauschmittel mit demselben Potential, unendlich viel Schuldgeld zu erschaffen, dass wir bereits heute haben. Darüber hinaus: würde Gold einmal mehr die einzige legale Grundlage des Geldes sein, hätten die, die kein Gold besitzen, auf einmal kein Geld. Andere Befürworter einer Währungsreform schlussfolgerten, dass Gier und Unehrlichkeit die Hauptprobleme sind und das es bessere Wege geben muss, einen ehrliches und gerechtes Geldsystem zu schaffen als wieder auf Gold oder Silber zu bauen. Viele private Tauschsysteme erzeugen Geld als Schuld, so wie es Banken tun, aber es wird offen gemacht und ohne Zinsen zu fordern. Ein Bsp. Ist ein Tauschsystem, in dem Schulden als Verpflichtung für Arbeitsstunden ausgedrückt werden – wobei alle Arbeit mit einem Geldbetrag gleich bewertet wird, der dann den Tausch von Stunden in den Preis von Gütern erlaubt. Diese Art Geldwesen kann von jedem aufgestellt werden, der eine Möglichkeit hat, die Buchführung zu erledigen, und gewillte, vertrauenswürdige Beteiligte zu finden. Ein lokales Tauschsystem zu erstellen, selbst wenn es im Moment kaum von Nutzen wäre, wäre ein umsichtiger Plan für den Notfall in jeder Gemeinde. Um eine Wirtschaft auf Grundlage von dauerhaftem, zinslosem Geld zu erschaffen, könnte Geld einfach von der Regierung erschaffen und der Wirtschaft zugeführt werden. Vorzugsweise durch den Bau haltbarer Infrastruktur, die der Wirtschaft nutzt. Dieses Geld würde nicht als Schuld erschaffen werden, sondern als Wert. Würde dieses Geld dann einen entsprechenden Handelszuwachs fördern, würde das überhaupt keine Inflation nach sich ziehen. Wenn Regierungsausgaben aber doch zu Inflation führen würden, gäbe es zwei Möglichkeiten: Inflation als Entsprechung einer allgemeinen Steuer auf Geld – ob das Geld nun 20% an Wert verliert oder ob die Regierung 20% des Geldes von uns einzieht, die Auswirkungen auf unsere Kaufkraft sind dieselben. So gesehen könnte Inflation anstelle von Besteuerung politisch vertretbar sein – wenn damit gut und in den Grenzen gehaushaltet wird. Oder aber die Regierung könnte Inflation entgegenwirken, indem sie Steuern aus dem System entzieht und somit die Geldmenge verringert und ihren Wert stabilisiert. Um Deflation zu steuern würde die Regierung einfach mehr Geld schaffen und ausgeben. Ohne konkurrierende, private Schuldgeldherstellung hätten Regierungen wirksamere Mittel, um die Geldmenge ihres Staates zu kontrollieren. Die Öffentlichkeit wüsste, wer die Schuld trägt, wenn etwas schief liefe. Regierungen würden an ihrer Fähigkeit, den Geldwert stabil zu halten, gemessen werden. Die Regierungen würde weiterhin durch Steuern finanziert, wie jetzt schon, aber die Steuergelder würden sehr viel mehr nützen, da nichts davon gebraucht werden würde, um Zinsen an private Bankiers zu bezahlen. Es könnte keine Staatsschuld geben, falls die Regierung einfach das benötigte Geld schaffen würde. Unsere gemeinschaftliche, ständige Knechtschaft zu den Banken durch Zinsen auf Staatsschuld, wäre nicht länger möglich.
Freitag, 12. Oktober 2007
Tolle Filme
- Uhrwerk Orange (Stanley Kubrick)
- Wilde Erdbeeren (Ingmar Bergmann)
- Rio Bravo (Howard Hawks)
- Psycho (Alfred Hitchcock)
- Schindlers Liste (Steven Spielberg)
- Die fabelhafte Welt der Amelie (Jean-Piere Jeunet)
- Lost in translation (Sofie Coppola)
- About Schmidt (Alexander Paynes)
- The Man who wasn’t there (Ethan und Joel Coen)
- High noon (Fred Zimmermann)
- Mulholand Drive (David Lynch)
- Barry Lyndon (Stanley Kubrick)
- Blow up (Michelangelo Antonioni)
- Caché (Michael Haneke)
- Magnolia (Paul Thomas Anderson)
- Die zwölf Geschworenen (Sidney Lumet)
- In der Mitte entspringt ein Fluss (Robert Redford)
- Pulp Fiction (Quentin Tarantino)
- Im Westen nichts Neues (Lewis Milestone)
- The Shining (Stanley Kubrick)
- Einer flog übers Kuckucksnest (Miles Forman)
- Der Pianist (Roman Polanski)
- Der große Diktator (Charley Chaplin)
- Das Leben ist schön (Robert Benigni)
- Im Zimmer meines Sohnes (Nanni Moretti)
- Rain Man (Barry Levinson)
- Monster's ball (Marc Forster)
- Of Man and Mice (Russ Smith)
- Ben Hur (William Wyler)
- Sideways (Alexander Paynes)
- Montags in der Sonne (Fernando Léon de Aronea)
- Alles über meine Mutter (Pedro Almodovar)
- Spartakus (Stanley Kubrick)
- L.A. Crash (Paul Haggis)
- The Color of Paradise (Majid Majidi)
- Paris, Texas (Wim Wenders)
- Menschenfeind (Gaspar Noé)
- Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben (Stanley Kubrick)
- Rashomon (Akira Kurosawa)
- Das Duell (Steven Spielberg)
- Die Klavierspielerin (Michael Haneke)
- Cyclo (Tran Anh Hung)
- Wege zum Ruhm (Stanley Kubrick)
- 2001: Odysee im Weltraum (Stanley Kubrick)
- Der Sohn (Jean-Pierre und Luc Dardenne)
Montag, 8. Oktober 2007
Der zugegebenermaßen leicht überspitzte und stark polarisierende Bericht über die „guten“ und die „bösen“ Schweine in einer Bühler Fabrik
In der Fabrik hat man es wie gesagt mit zwei Typen Mensch zu tun. Erstere Art Fabrikmensch verrichtet eine monotone, geistlose Arbeit an einer Maschine oder an einem Prüfwerkzeug, die sich als zigmalige Wiederholung eines einfachen Handgriffs bzw. einer simplen Fußbewegung beschreiben lässt. Schon nach kurzer Zeit muss sich der Arbeiter mit der Erkenntnis konfrontiert sehen, dass er ähnlich automatisch funktioniert wie die Maschine, welche er bedient. Oder ist es gar umgekehrt: bedient die Maschine ihn? Egal, man kann es so oder so sehen, Fakt bleibt: als einfacher Fabrikarbeiter arbeitet man unter seinen kognitiven und kreativen Möglichkeiten. Das Schlimme ist: wer das zu lange tut, merkt das bald nicht mehr. Man glaubt nicht mehr daran, dass man mehr kann als Tag für Tag Teil für Teil zu produzieren. Das ist zwar schade für den Arbeiter, liegt aber im Interesse der Arbeitgeber. Denn durch die Monotonie der Arbeit und der daraus resultierenden schleichenden Verblödung oder versäumten Weiterbildung der Arbeiter gelingt es, die Ansprüche der Arbeiter an ihren Arbeitgeber und vor allem an sich selbst bescheiden zu halten. Denn nur wenn sich jeder Arbeiter klaglos seinem „Schicksal“ in der Fabrik fügt, kann das Funktionieren des Produktionsprozesses gewahrt bleiben.
Als Ergebnis jahrelanger Verblödung oder jahrelang versäumter Weiterbildung lässt sich eine geistig-kreative Interessenarmut unter den Arbeitern feststellen. So kommt es schon vor, dass die Arbeiter außerhalb ihrer Arbeit gar nichts mit ihrer Freizeit anzufangen wissen und ihren Existenzsinn gezwungenermaßen in der Fabrikarbeit suchen. Letzteres klingt vielleicht verrückt, aber schließlich lässt sich soziale Anerkennung und damit verbundenes Glück so ziemlich überall erfahren, wo Menschen in sozialen Kontakt miteinander treten – also auch in der Fabrik. Die Fabrikchefs und uns Verbraucher sollte es im Grunde freuen, dass es Arbeiter gibt, die ihren Fabrikjob als weniger trist wahrnehmen als manch ein Außenstehender glauben mag. Allerdings haben viele Arbeiter noch nie eine abwechslungsreiche, ihren Fähigkeiten entsprechende Arbeit unter besseren Arbeitsbedingungen ausgeübt. Und wer es besser nicht kennt, gibt sich eben schnell mit dem zufrieden, was er hat. Nur so lässt sich erklären, warum es viele Arbeiter sogar relativ widerstandslos in Kauf nehmen, regelmäßig ihr eigentlich freies Wochenende „verkaufen“ und ihre Interessen, ihre Familie und Freunde in den Hintergrund stellen zu müssen.
Neben der Eintönigkeit, welche die Arbeit zu einem tagtäglich acht Stunden währenden Kampf gegen die Uhr verwandelt, und der Belastung durch die aufgezwungenen Überstunden, hat der Arbeiter ein mehr oder weniger menschenwidriges Arbeitsumfeld auszustehen. Davon zeugen u.a. eine ohrenbetäubende Geräuschkulisse, die sich nur durch Ohrenschutz dämpfen lässt, und eine verschmutzte Fabrikluft, der sich der Arbeiter weitgehend hilflos ausgesetzt sieht. Da mutet es fast zynisch an, dass in manchen Fabriken Rauchverbote gelten, wo es doch angebrachter wäre, die Arbeiter vor den Emissionen der Maschinen, der Stapler und vor anderen Giften zu schützen. „Lieber 20 Zigaretten rauchen als diese Luft einatmen“, meint ein Arbeiter stellvertretend für viele seiner Kollegen. Folglich könnte nicht wenige Arbeiter das Schicksal ereilen, Jahre lang in einer Fabrik zu arbeiten, immerfort in die Rentenkasse einzuzahlen und dann an den Folgen des an ihrem Körper praktizierten gesundheitlichen Raubbaus jung zu sterben. Also wahrlich keine schönen Perspektiven für das arme Schwein von Fabrikarbeiter: Langweilige, psychisch abstumpfende, körperlich krankmachende Arbeit! Früher Tod?
Nun zum anderen Typus des Fabrikmenschen – den Chefs: sie haben normalerweise ein Studium oder zumindest eine Ausbildung durchlaufen und können sich daher einer weniger ermüdenden Arbeit erfreuen. Die meiste Zeit des Tages sitzen sie im Meisterbüro am PC; alle paar Stunden, wenn ihr Sitzfleisch ermattet und sie ihre eingeschlafenen Beine vertreten wollen, laufen sie eine Kontrollrunde durch ihren Verantwortungsbereich. Dort erkundigen sie sich dann bei den Arbeitern nach dem „Befinden“ der Maschinen und nach der Qualität wie Quantität ihrer Erzeugnisse - das alles meist in einem herrisch-arroganten Ton und Gesichtsausdruck, der keinen Zweifel daran lässt, wer in der Fabrik das Sagen hat. Lediglich an Sommertagen ziehen es manche Chefs gerne vor, in ihrem klimatisierten, vom Maschinenlärm abgeschirmten Büro zu verbleiben statt den Arbeitern auf die schweißnassen Finger zuschauen. Schließlich gibt es noch andere, verdecktere Methoden, sich als Chef des Fleißes und der Zuverlässigkeit der Arbeiter zu vergewissern. Vom Meisterbüro aus lässt sich via Computer bei einer Tasse Kaffee bequem verfolgen, wie viele gute und schlechte „Teile“ der einzelne, gläserne Arbeiter fabriziert. Denn augenscheinlich schert sie nur eines: hohe Stückzahlen und niedrige Schrottmengen.
Wer sich aber als verantwortlicher Chef nicht für eine generelle Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Arbeiter (z.B. kürzere Arbeitszeiten; höherer Stundenlohn; sauberere Fabrikluft; eine Art Rotationsprinzip, sodass nicht jeder immer an der gleichen Maschine arbeiten muss; Aufhebung des „faktischen“ Zwangs zur Drei-Schichtarbeit u.v.m.) einsetzt, sondern stattdessen den Arbeitern zumutet, eigene Bedürfnisse und Interessen immer weiter zurückzustellen, ist in meinen Augen ein ekelhaftes Schwein, ein widerwärtiger Mensch.
Sonntag, 26. August 2007
Woher kommt der Mensch? Was will der Mensch? Was ist der Mensch?
1. Woher kommt der Mensch?
"Ich kann verstehen, dass ein Mensch zum Atheisten wird, wenn er auf die Erde hinunterschaut, aber wie jemand den Blick zum Himmel emporrichten und sagen kann, es gebe keinen Gott, ist mir unbegreiflich." (Abraham Lincoln (1809-1865); 16. amerikanischer Präsident)
Dass der Mensch anderen Menschen mit seinem Handeln oftmals keinen Anlass zu glauben gibt, er würde von einer Art gutmütigem Schöpfergott geliebt, ist nicht zu bestreiten. Als Lincoln in den Himmel sah, sah er vermutlich nicht mehr als das unerklärliche Wunder der Natur, das auch nicht durch den Verweis auf „Gott“ begründet werden kann. Denn wenn die ursprünglichste Antwort auf alle Fragen „Gott“ heißen soll, wer oder was markiert dann den Ursprung Gottes? Der Mensch ist nicht imstande, den anfänglichsten Anfang seines Lebens rational zu begreifen. Fragen nach dem Woher und Warum führen immerzu ins Unendliche, ins Nichts, ins Unfassbare. Aus diesem Grund könnte man aus atheistischer Sicht Lincolns Glaubensbekenntnis entgegenhalten: „vor dem Leben war nichts, nach dem Leben ist nichts“. Was in der Zeit vor meiner Geburt geschah, wird mir von älteren Menschen überliefert, so wie ich jüngeren Menschen erzähle, was vor deren Lebenseintritt passierte. Es gibt aber keinen Lebenden, der vom Anfang des Lebens, und keinen Toten, der vom Tod zu berichten wüsste. Deshalb besteht auch kein Grund, irgendwelche Phantastereien bezüglich der „Schöpfungslehre“ und der „Wiedergeburt“ Glauben zu schenken.
Die Anhänger der humanistischen Bewegung rufen den Menschen darum ins Bewusstsein, dass der Mensch den Sinn des großen Ganzen nicht erfassen könne. Stattdessen müsse er akzeptieren, dass er angesichts der Größe der Welt relativ unbedeutend sei. Selbst wenn man sich für noch so wichtig oder gar für unentbehrlich halte: es gehe auch ohne einen weiter. Und das sei auch gut so, denn nur durch den Tod schaffe man Platz für neues Leben. Trotzdem könne der Mensch das Beste aus seinem Leben machen, indem er sich selbst, seine Mitmenschen und die Natur in den Fokus seiner Wertschätzung und seines Handelns rücke. Entscheidend sei das Hier und Jetzt; man müsse gemeinsam auf ein irdisches Paradies der Lebenden hinarbeiten und solle nicht länger an die Himmelfahrt der Toten glauben. Die einzige wichtige Funktion, die ein allmächtiger „Gott“ für die Gläubigen einnehme, sei ohnehin nur diejenige des Hoffnungs- und Trostspenders. Aber diese Funktion könne ohne weiteres durch mehr individuelle Eigenverantwortung, durch einen stärken Glauben an sich selbst, durch ein größeres Vertrauen in seine Mitmenschen oder durch das Hoffen auf ein potentiell mögliches, menschliches Wunder ersetzt werden. Letztere „Wunder“ tragen sich immer wieder zu, doch sie erstaunen jedes Mal aufs Neue: „Reinhold Messner erklimmt den Mount Everest als Erster ohne Sauerstoffgerät“, „Griechenland gewinnt die Fußball-EM 2004!", „Baby überlebt Sturz aus drittem Stock“ usw.
Und dennoch ist der Mensch von seiner Veranlagung her ein Lebewesen, das gerne an Dinge glaubt, die sich auf keinerlei rational-logisches, empirisches Gerüst stützen können. Das betrifft keineswegs immer nur den religiösen Glauben. Auch der Krisenzeiten überdauernde, schier unerschütterliche Glaube an die Heilung einer als unheilbar geltenden Krankheit oder an das Gute im Menschen zählen dazu. Gleichwohl wird man nicht leugnen können, dass man für den Glauben an einen bildhaften „Gott“ eine größere Phantasie benötigt als beim Glauben an ein gottloses, weniger zauberisches „Wunder“ im Alltag der Menschen.
Aufgrund der bisherigen Ausführung kann man u.a. zu dem Schluss gelangen: das Entfernstete, wovon der Mensch im Hinblick auf die Frage nach dem Beginn des Geschehenen, Seienden und des Werdenden vielleicht zu recht einigermaßen etwas zu wissen glaubt, ist der Verlauf der Evolution seiner Spezies und die Existenz seiner selbst, seiner Eltern, seiner Ureltern usw. als Ergebnisse ständiger biologischer Reproduktion.
2. Was will der Mensch?
"Menschen sind Engel mit einem Flügel - nur wenn sie sich umarmen, können sie fliegen." (Luciano De Crescenzo (*1928); italienischer Schriftsteller)
Die Frage nach dem Sinn des Lebens beschäftigt den Menschen schon solange wie die Frage, woher der Mensch denn stamme. Crescenzo sieht den Sinn des Lebens darin begründet, anderen zu helfen und sich damit selbst zu helfen – also im Beitrag jedes einzelnen Menschen zu einer Gemeinschaft der Kooperation. Das obige Zitat umfasst auch den Aspekt der biologischen Reproduktion. Denn nicht wenige Menschen sehen gerade in der Fortpflanzung den Sinn des Lebens (teils) verwirklicht. Demzufolge gehört das Leben der Kinder zum Sinn des Lebens der Eltern. Umgekehrt geben anfangs besonders die Eltern dem Leben des Kindes mit der ihm entgegengebrachten Liebe und Erziehung zum Gesellschaftswesen einen Sinn. Verallgemeinert kann man deshalb sagen: der Sinn des eigenen Lebens steckt darin, dem Leben der anderen Sinn zu geben, wodurch man als „Gegenleistung“ in Form von sozialer Anerkennung selber Sinn erfährt. Um seine egoistischen Bedürfnisse zu befriedigen, muss der Mensch also sozial handeln. Soziales Handeln bedeutet laut des Soziologen Max Weber „ein Handeln, welches sich dem Sinn nach auf das Verhalten anderer bezieht und daran in seinem Ablauf orientiert ist“; es meint also nicht notwendigerweise ein Handeln zum Wohle der Gemeinheit. Soziale Anerkennung lässt sich nämlich nicht nur durch positive Attribute wie Menschenfreundlichkeit erzielen, sondern auch im Gegenteil: sogar politischen Gewaltherrschern, wirtschaftlichen Sklaventreibern und anderen gesellschaftlichschädlichen Personen wird diese zuteil. Jene zu bedauernde Tatsache kann man auf den ureigensten Trieb der Menschen, den Selbsterhaltungstrieb, zurückführen. Letzterer äußert sich selten bewusst, meist unbewusst das ganze Leben lang in den verschiedensten Erscheinungsformen von Existenzangst. Wer rebelliert schon gegen ein politisches Regime, wenn Freiheitsentzug oder Schlimmeres drohen? Wer haut schon beim Chef auf den Tisch, wenn dadurch der Job und ein Teil der sozialen Anerkennung verloren gehen könnten? Wer zeigt schon Zivilcourage, wenn man eine blutige Nase fürchten muss? Leider triumphiert nur in einigen wenigen Situationen, bei einigen wenigen Menschen der Mut über die Angst.
Wozu aber das ständige, von existentieller Angst geleitete Streben nach sozialer Anerkennung? Ganz einfach: sie ist nur ein Mittel zum Zweck, denn soziale Anerkennung führt schließlich – sofern sie nicht unter Gewissensbissen und Selbstzweifeln „erkauft“ wurde – beim einzelnen Individuum zu positiven Gefühlszuständen wie Glück und Zufriedenheit oder wenigstens zu einer Minderung von Unglück und Unzufriedenheit. (In Selbstzweifel oder in eine Identitätskrise schlittert der Mensch beispielsweise, wenn er einen als sinnlos empfundenen Job verrichtet, mit dem er sich nicht identifizieren möchte. In diesem Fall steht der Mensch vor der Wahl, weiterhin durch für ihn persönlich wenig sinnstiftende Arbeit soziale Anerkennung zu erfahren oder gesellschaftliche Bestätigung in einem neuen, ihn erfüllenden Job zu suchen.)
Der stärkste natürliche Antrieb menschlichen Handelns ist also die Angst um das eigene Leben (Selbsterhaltung). Diese von den meisten Menschen wahrgenommene Priorität der Selbsterhaltung drückt sich exemplarisch darin aus, dass ein dem Verdursten nahender Mensch kaum etwas Wohltuenderes fühlen kann als Wasser in seinen trockenen Schlund. Der zweitstärkste menschliche Naturimpuls ist die platonische Liebe zu anderen Menschen – etwa zu den eigenen Familienangehörigen – und der Sexualtrieb (beides Arterhaltung). Charakteristisch für den obersten „sozialen“ Trieb ist das unaufhörliche Streben nach sozialer Anerkennung. Letzterer Trieb liegt allerdings ebenfalls in der Natur des Menschen, weil der Mensch ein von Grund auf kulturbedürftiges Gesellschaftswesen ist. Glück und Zufriedenheit bzw. die Abschwächung von Unglück und Unzufriedenheit resultieren aus erfolgreicher Befriedigung von mindestens einem der drei menschlichen Triebe und machen schlussendlich den eigentlichen Sinn des Lebens aus.
Übrig bleibt die Frage, worin der Sinn des Lebens für Menschen besteht, die keinerlei soziale Beziehungen pflegen (können) – etwa so wie die Romanfigur Robinson Crusoe? Eine Antwort könnte lauten: Einsame Menschen schaffen sich entweder Haustiere an, sie werden schizophren, sie verlieren ihre Sprachfertigkeit, also ihren Intellekt, sie bilden Instinkte aus und leben somit wie Tiere oder sie nehmen sich in letzter Konsequenz ihr Leben. Die Zuwendung zu „Gott“ mittels Gebet etc. ist in solchen Situationen nur eine Form der Schizophrenie, in der man seinem Alter ego große Ehrfurcht erbietet, ihm eine übergroße Macht beimisst, ihm dankt und ihm Wünsche überstellt, um letzten Endes eine positivere Gemütsverfassung zu erlangen. Durch die beschriebenen Techniken kann der Sinn des Lebens auf eine gewisse Art und Weise erhalten bleiben.
3. Was ist der Mensch?
„Es liegt eben in der menschlichen Natur, vernünftig zu denken und unlogisch zu handeln.“ (Anatole France (1844-1924); französische Schriftsteller)
Wie bereits angesprochen, ist der Mensch (wie das Tier) ein von Angst getriebenes Lebewesen, wodurch er manchmal dazu neigt, lieber seinem Gefühl statt seinem Verstand zu gehorchen. Weil Angst ein Urinstinkt des Menschen ist, ist der Mensch in seinem Handeln im Grunde fremdgesteuert. Zwar besitzt er einen relativ freien Willen, dieser ist jedoch auf die Befriedigung natürlicher und sozialer Triebe hin fixiert und bewegt sich normalerweise im Rahmen gesellschaftlicher Norm- und Moralvorstellungen. Doch ethische Werte und Gemeinsinn rücken beim Menschen leicht in den Hintergrund, wenn er sich durch egoistisches Handeln einen Vorteil hinsichtlich seiner Triebbefriedigung verspricht. Wenn die Triebe über die gesellschaftlichen Soll- und Muss-Erwartungen gänzlich Überhand gewinnen – was jedem Menschen passieren kann – ist der Mensch auch zu töten bereit. Allerdings ist es falsch zu behaupten, jeder Mensch sei ausschließlich böse und schlecht. Der Mensch ist im Vergleich zu den Tieren mit einer großen Intelligenz ausgestattet, die es ihm einerseits ermöglicht, menschendienliche Ideen in die Tat umzusetzen und ihm andererseits Mittel sein kann, ganze Völker zu vernichten. NS-Widerstandskämpfer Johann Georg Elser bewies mit seinem Attentatversuch auf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller (8. Nov. 1938), dass er es mit den Menschen gut meinte. Sein Handeln stellte das Leben anderer Menschen über das Seinige, man kann auch sagen: sein Arterhaltungstrieb (hier nicht im sexuellen Sinne) war stärker als seine Angst, was ihn zu einem Helden machte. Dagegen war Hitlers stärkster Trieb der nach bedingungsloser sozialer Anerkennung, die sich in seinem Machtmonopol und dem daran geknüpften Führerkult niederschlug. Der Mensch ist also lediglich den Interessen seiner Triebe unterworfen, die situationsabhängig von persönlicher Aufopferungsbereitschaft bis hin zu grausamster Bestialität alles menschenmöglich machen. Der französische Philosoph Théodore Jouffroy umging die menschliche Situations- und Triebabhängigkeit und hatte deshalb Unrecht als er sagte, „ein Tag genügt, um festzustellen, dass ein Mensch böse ist; man braucht ein Leben, um festzustellen, dass er gut ist." Außerdem kann sich hinter einer guten Tat – also einer Tat zum Nutzen der Menschen und ihrer Natur – eine böse Absicht, hinter einer bösen Tat eine gute Absicht verbergen. Das Gute schließt das Böse genauso wenig aus wie andersherum Böses Gutes nicht ausschließt. Von dem her genügt auch ein Tag, um einige guten Seiten eines Menschen auszukundschaften.
Alles in allem liegt es im Eigeninteresse und im Interesse aller Menschen und ihrer Natur sich zumindest darum zu bemühen, gut zu sein, d.h. gemeinnützig zu handeln. Selbst Diktatoren und andere Unterdrücker könnten sich jederzeit davon überzeugen, dass es einen persönlich tatsächlich glücklicher macht, Menschen zu erfreuen als ihnen das Fürchten zu lehren. Der deutsche Kulturphilosoph Paul de Lagarde bemerkte diesbezüglich treffend: "Jeder Mensch hat die Chance mindestens einen Teil der Welt zu verbessern, nämlich sich selbst."
Link: http://www.humanistische-aktion.homepage.t-online.de/humasinn.htm
Dienstag, 21. August 2007
Deutscher Rüstungsexport
„Solange es Streitkräfte gibt, wird Ausrüstung benötigt. Aber Ausrüstung gibt es nicht ohne Rüstungsproduktion. Da sich kein Land eine autarke Rüstungsproduktion leisten kann, gibt es grundsätzlich einen Handel mit Rüstungsgütern.“ (Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen)
Waffen gibt es schon solange wie den Menschen selbst. Deshalb ist der Gedanke an eine Welt ohne Armeen und Waffen zwar wünschenswert, aber er scheint auch realitätsfern.
Deutschland rangiert in der Tabelle der Rüstungsexporteure auf dem dritten Platz hinter Russland und dem Spitzenreiter der USA. Und es ist ein Skandal, dass hier und da Menschen verhungern, weil sie nichts zu Essen haben, während andernorts Unsummen an Geld in die Rüstungsindustrie gepumpt werden. Doch der makabere Irrwitz der Verteilung und Verwendung von Ressourcen und deren Folgen auf Mensch und Umwelt lässt sich nicht nur am Aspekt der Rüstung festmachen. Der Handel mit Rüstungsgütern ist eher Ausdruck einer allgemeinen kollektiven und individuellen menschlichen Schieflage, die aber hier aus Platzgründen nicht ausgeführt werden kann. Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt daher woanders: Zunächst soll ein Blick auf die Gesetzesgrundlage und die Leitlinien deutscher Rüstungsexportpolitik geworfen werden. Anschließend wird anhand des von der Bundesregierung herausgegebenen Rüstungsexportberichts die tatsächliche Praxis veranschaulicht und um kritische Einwände seitens verschiedener Organisationen ergänzt.
Die Leitfragen dieses Aufsatzes lauten dann etwa so: Welchen Prinzipien will die deutsche Rüstungsexportpolitik gehorchen? Wie sieht die tatsächliche Exportpraxis aus? Was ließe sich an der öffentlichen Aufklärungsarbeit der Bundesregierung verbessern?
Das Material der Arbeit speist sich hauptsächlich aus dem Rüstungsexportbericht der Bundesregierung (2005) und dem Gegenentwurf der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE).
2. Prinzipien deutscher Rüstungsexportpolitik
Der gesetzliche Handlungsrahmen für den deutschen Rüstungsexport ist nach dem Grundgesetz (GG), dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG) bzw. der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) und dem Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) geregelt. Innerhalb dessen will die Bundesregierung ihre Rüstungsexportpolitik an den „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“, an dem „Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren“ und an den von der OSZE verabschiedeten „Prinzipien zur Regelung des Transfers konventioneller Waffen“ ausrichten.
Deutschland verpflichtet sich demnach, nur an solche Länder Rüstungsgüter zu exportieren, in denen die Menschenrechte eingehalten und geschützt werden. Des Weiteren muss die BRD sicherstellen, dass die deutschen Rüstungsgüter nicht in „falsche Hände“ geraten. In Länder, die an bewaffneten Auseinandersetzungen beteiligt sind oder wo eine solche drohen könnte, dürfen keine deutschen Rüstungsgüter geliefert werden (Ausnahme: siehe Uno-Charta, Art. 51). Ferner werden auch andere Kriterien zur Bewertung des potentiellen Empfängerlandes herangezogen, z.B. das Verhalten im Hinblick auf den Terrorismus.
Gemäß dem AWG ist die Bundesregierung unter bestimmten Umständen berechtigt, Rechtsgeschäfte und Handlungen im Außenhandelsverkehr zu beschränken –
nämlich dann, wenn wesentliche deutschen Sicherheitsinteressen, das friedliche Zusammenleben der Völker und/oder die auswärtigen Beziehungen der BRD Schaden nehmen könnten. Insbesondere die Aus-, Durch- sowie Einfuhr von Waffen, Munition, Kriegsgerät und ‚sonstiger Rüstungsgüter’ können von der Bundesregierung auferlegten Restriktionen unterliegen. Rechtsgeschäfte und Handlungen im Ausland tätiger deutscher Unternehmer, die Produkte der Ausfuhrliste herstellen und entwickeln, können ebenfalls Grenzen gesetzt werden.
Das AWG und die darauf basierende AWV besagen, dass die Ausfuhr sämtlicher Rüstungsgüter – inklusive der Kriegswaffen – genehmigungsbedürftig ist.
Wer speziell mit Kriegswaffen Geschäfte machen will, muss sich an das KWKG halten und stets im Einverständnis mit der Bundesregierung handeln. Der Export in EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder wird prinzipiell nicht beschränkt, sollte aber trotzdem mit dem Grundsatz der restriktiven Rüstungsexportpolitik vereinbar sein.
Nachdem nun im Groben geklärt ist, welche „Ideale“ der Bundesregierung in ihrer Rüstungsexportpolitik vorschweben, soll nun auf die Wirklichkeit geschaut werden.
3. Deutsche Rüstungsexportpolitik in der Praxis
Die alljährlich verzögerten Veröffentlichungen der Rüstungsexportberichte erschweren eine zeitnahe öffentliche Diskussion über deren Bilanzen. Auch der Rüstungsexportbericht des letzten Jahres lässt noch auf sich warten, weshalb hier noch einmal auf den Rüstungsexportbericht des Jahres 2005 zurückgeblickt werden soll, der gegebenenfalls um einige externe kritische Einwände und Forderungen ergänzt wird.
Meldepflichtig und somit in den behördlichen Statistiken registriert sind nur Realexporte von Kriegswaffen. Von den ‚sonstigen Rüstungsgütern’ ist nur die Zahl der beantragten Genehmigungen bekannt. Erfahrungsgemäß, so die Bundesregierung, exportierten die deutschen Unternehmer de facto aber weniger als sie es theoretisch dürften. Die GKKE gibt sich mit dieser wagen Auskunft nicht zufrieden und fordert die Erfassung der Realausfuhr aller Rüstungs- und Dual-Use-Güter. (Letztere Güter lassen sich sowohl militärisch als auch zivil verwenden; z.B. Schiffsmotoren.)
Die Namen der am Rüstungsexport beteiligten deutschen Unternehmen darf oder will die Bundesregierung nicht preisgeben, aber auch in anderen Punkten hält man sich bedeckt. In „NGO-online – der Internetzeitung für Deutschland“, heißt es folglich: „Noch immer fehlen bei den Exportgenehmigungen Details zu Art und Umfang der geplanten Lieferungen, zu Lieferanten, zu Empfängern, zum Verwendungszweck und zu Maßnahmen gegen eine Weiterverbreitung.“
3.1 Rüstungsgüter
Im Kalenderjahr 2005 wurden für alle Rüstungsgüter Einzelausfuhren im Wert von über 4 Mrd. € bewilligt. Die meisten Einzelausfuhrgenehmigungen betrafen Lieferungen in die USA. Aber auch umfangreiche Rüstungsgüterexporte in Länder wie Pakistan gab man grünes Licht – trotz Konfliktpotentials und Menschenrechtverletzungen. Diesbezüglich verlangen mehrere Kirchen, dass Exportgenehmigungen in Drittstaaten von der Bundesregierung begründet werden sollten. Sammelausfuhrgenehmigungen von Rüstungsgütern im Rahmen wehrtechnischer Kooperation zwischen EU- und NATO-Partnern erreichten ein Umsatzvolumen von ca. 2 Mrd. €.
3.2 Kriegswaffen
Hier einige Zahlen zu den realen Kriegswaffenexporten: Deutsche Unternehmer lieferten im Jahr 2005 Kriegswaffen im Gesamtwert von 1,6 Mrd. €. Das sind zwar „nur“ 0,25 % aller deutschen Exporte, aber es handelt sich schließlich nicht um irgendwelche Produkte, die man ausführt. Knapp Zweidrittel der Genehmigungen betrafen Ausfuhrvorhaben an die EU-, NATO- und NATO-gleichgestellten Länder (Australien, Neuseeland, Japan, Schweiz). Das übrige Drittel der Rüstungsgüter ging an klassische Entwicklungsländer – v.a. nach Südafrika – und andere Drittstaaten. Die GKKE gibt aber zu bedenken, dass über Umwege mehr deutsche Rüstungsgüter in die Entwicklungsländer geraten, als man vielleicht annimmt:
„Geht man davon aus, dass deutsche Zulieferungen an andere europäische Rüstungshersteller ihrerseits in Entwicklungsländer exportiert werden, ist der Anteil der Entwicklungsländer, die direkt oder indirekt deutsche Waffen und Rüstungsgüter erhalten, erheblich größer.“
Zu den genehmigten Kriegswaffenlieferungen zählten u.a. über 3.000 Handfeuerwaffen – einschließlich so genannter ziviler Waffen wie Jagd-, Sport- und Selbstverteidigungswaffen.
Auch Kleinwaffen bildeten eine nicht zu verharmlosende Teilmenge der Handfeuerwaffen. Die OSZE definiert den Typus der Kleinwaffen wie folgt:
„Unter Kleinwaffen sind im weitesten Sinn Waffen zu verstehen, die für die Verwendung durch den einzelnen Angehörigen der Streitkräfte oder Sicherheitskräfte gedacht sind. Dazu gehören Revolver und Selbstladepistolen, Gewehre und Karabiner, Maschinenpistolen, Sturmgewehre und leichte Maschinengewehre.“
Unterschiedlichen Schätzungen zufolge kämen bis zu 95 % aller getöteten Menschen mit Waffen dieser Kategorie zu Tode. Beinahe Einviertel aller Einzelgenehmigungen für Kleinwaffenausfuhren betrafen Drittstaaten und Entwicklungsländer – darunter Afghanistan, Brasilien und Kolumbien. Nicht zu vergessen sind erlassene Exporte von Kleinwaffenbestandteilen und -munition.
Angesichts der Kleinwaffenproblematik ist der seit 2003 geltende Grundsatz „Neu für alt“ unbedingt zu achten, um wenigstens einem quantitativen Zuwachs der Kleinwaffen zuvorzukommen.
Den Exportschlager überhaupt bildeten die knapp 2.000 militärische Ketten- und Radfahrzeuge im Wert von mehr als 1,2 Mrd. €.
Auch das Bundesverteidigungsministerium trat als Rüstungsexporteur in Erscheinung: Nicht mehr benötigtes Material der Bundeswehr im Gesamtwert von knapp 90 Mio. € wurde mehrheitlich an Spanien, Tunesien und Griechenland verkauft.
Nachdem man nun in etwa weiß, in welcher Größenordnung sich der deutsche Rüstungsexport bewegt, soll abschließend aufgezeigt werden, worauf die Bundesregierung zukünftig in ihrer Rüstungsexportpolitik achten und was sie besser machen sollte.
4. Fazit
Das Interesse der Bundesregierung muss besonders der Restriktion und dem konkreten Fall gelten. Jede einzelne Anfrage ist peinlichst genau darauf zu überprüfen, ob sie mit den deutschen Gesetzesgrundlagen und den nationalen wie internationalen Leitlinien kompatibel ist oder ob sie ihnen zuwiderläuft.
Weiter muss den deutschen Unternehmen mehr Transparenz verordnet werden, sodass sich der einzelne Bürger bei Lichte ein besseres Bild verschaffen kann. Illegale Exporte könnten nebenbei leichter aufgedeckt und strafrechtlich verfolgt werden können. Aber auch die Bundesregierung sollte nicht nur nacktes Zahlenmaterial offenlegen, sondern sich dazu verpflichteten, fragwürdige Rüstungsexporte öffentlich zu begründen.
Die Aufweichung oder gänzliche Aufhebung von Waffenembargos darf keine Frage der Zeit oder politisch-wirtschaftlicher Opportunität sein, sondern muss an die oben beschriebenen Bedingungen geknüpft werden. Die Forderung Waffenembargos (komplett) abzuschaffen, mit der Begründung, der EU-Verhaltenskodex reiche als Richtmaß aus, ist, gelinde gesagt, unklug. Die Verhängung von Handelsverboten soll ja gerade der Kennzeichnung solcher Länder dienen, denen eine dem „Gemeinwohl“ verpflichtete Nutzung der Rüstungsgüter nicht zuzutrauen ist. Das Argument, es sei besser an alle Länder zu exportieren, als zu warten bis diese die gewünschten Rüstungsgüter selber entwickelten und produzierten, ist nicht nur aus Gründen des Prinzips zu verneinen. Denn im Hinblick auf die Grundsätze der BRD, der EU und der OSZE stellen unbestechliches, konsequentes und transparentes Handeln im Umgang mit der Erteilung bzw. Versagung von Genehmigungen Schlüsselelemente zu einer Verbesserung der allgemeinen Glaubwürdigkeit des Rüstungsgeschäftes dar. Im Übrigen gilt es unter allen Umständen zu verhindern, dass von Deutschland gelieferte Rüstungsgüter vom Abnehmerland zweckentfremdet werden (z.B. Umrüstung konventioneller U-Boote in atomare U-Boote).
Eine restriktive und verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung kann auf andere Staaten vorbildlich wirken und trägt sicherlich eher zu einer sichereren und gewaltfreieren Welt bei, als ein Übermaß an Toleranz und Wohlwollen gegenüber der Rüstungsindustrie und ihrer Kunden. Alles in allem wird die Öffentlichkeit in Sachen Rüstungsexport in vielen Punkten im Unklaren gelassen. Im Sinne des eigenen Volkes, der Sicherheit und des Weltfriedens wäre die Bundesregierung gut beraten, die Forderungen und die Kritik betreffs ihrer Rüstungsexportpolitik und ihrer Öffentlichkeitsarbeit ernst zu nehmen.
Quellen bzw. Links:
http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/export/bericht03-bundestag.html http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/P-R/ruestungsexportbericht-2005,property=pdf,bereich=bmwi,sprache=de,rwb=true.pdf http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/awg/gesamt.pdf http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/krwaffkontrg/gesamt.pdf http://www.ngo-online.de/ganze_nachricht.php?Nr=10608 http://www.gkke.org/cms/upload/pdf/bericht_ruestungsexporte_12.12.05. http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/krwaffkontrg/gesamt.pdf
Das bedingugslose Grundeinkommen - Ein Menschenrecht?
„Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit.“ (Uno-Menschenrechte Art. 23 Abs. 1)
Ein Blick in die Uno-Menschenrechtscharta verrät, welche Rechte jedem Menschen im Idealfall zustehen. Ob man diese unveräußerlichen Rechte dann auch tatsächlich in Anspruch nehmen kann, hängt normalerweise davon ab, in welchem Maße der einzelne Staat seinen Bürgern diese Rechte auch einräumt. In diesem Aufsatz soll die These untersucht und unterstützt werden, dass das obige Menschenrecht erst durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) vollends erfüllt werden kann. Dabei will ich mich insbesondere mit dem gegenwärtig radikalsten Denker eines BGE Götz Werner befassen. Doch zunächst werden die vier Richtschnüre, an denen sich ein „richtiges“ BGE festmacht, kurz beschrieben. Anschließend soll Werners Theorie und die damit eventuell verbundenen soziokulturellen und politökonomischen Konsequenzen diskutiert werden. Im Weiteren sollen die Vorschläge Werners um einige Ideen und Anregungen linkspolitischer Verfechter eines BGE ergänzt werden. Zum Schluss werden die möglichen Auswirkungen eines BGE mit den in Artikel 23 (1) proklamierten Uno-Menschenrechten abgeglichen und geprüft, ob oder inwiefern die oben formulierte Hypothese zutreffend sein könnte.
Die Fragen, die hier interessieren, lauten: Was ist ein Grundeinkommen? Was wollen Götz Werner und andere Befürworter eines BGE? Wie könnte sich ein BGE auf Artikel 23 (1) der Uno-Menschenrechtserklärung auswirken?
Diese Arbeit stützt sich hauptsächlich auf Interviews und Aufsätze von Götz Werner, Katja Kipping und Mecki Förthmann. Weil das BGE zurzeit in vielerlei Munde ist, kann man – vor allem im Internet – relativ viel Material darüber finden.
2 Was heißt Grundeinkommen?
2.1 Leben in Würde durch ein BGE
Laut des Gründers der Drogeriemarktkette dm Götz Werners und anderer Anhänger eines BGE solle der Staat es jedem Menschen selbst überlassen, ob oder was er oder sie arbeiten will. Allen Staatsangehörigen oder sogar allen legal in Deutschland lebenden Menschen müsse ein monatliches BGE ausgezahlt werden, das auch ohne Arbeitseinkommen ein Leben in Würde erlaube. Dabei gibt es verschiedene Vorstellungen, wonach junge Menschen unter 16 oder 18 Jahren kein, ein gekürztes oder das volle BGE ausgezahlt bekämen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen (BAG) der Linkspartei.PDS fordert für alle Deutschen ab 16 Jahren ein BGE in der Höhe der Armutsrisikogrenze, die bei 60% des durchschnittlichen Nettoäqivalenzeinkommens in Deutschland liegt. Auf jeden Fall – darüber sind sich Götz Werner und die „linken“ Befürworter eines BGE einig – müsse ein BGE hoch genug sein, um würdevoll wohnen und leben zu können und soziale wie kulturelle Teilhabe zu ermöglichen.
2.2 Die vier Kriterien eines BGE
Das „Netzwerk Grundeinkommen“ knüpft ein Grundeinkommen an vier Kriterien, die erfüllt sein müssten, damit von einem BGE überhaupt erst gesprochen werden könne: erstens dürfe es keinerlei staatlichen Arbeitszwang geben, zweitens müsse ein individueller Rechtsanspruch auf ein BGE bestehen, drittens dürfe ein BGE nicht an eine Bedürfnisprüfung gekoppelt werden und viertens müsse es die Existenz sichern. Tom Maier, ehemaliges Vorstandsmitglied der WASG, wirbt sogar dafür, das Recht auf ein BGE in den Grundrechtskatalog der BRD aufzunehmen.
Im nachfolgenden Kapitel soll aufgezeigt werden, wie Götz Werner die Notwendigkeit eines BGE begründet und was durch sein BGE-Modell anders werden soll.
3 Götz Werner und seine Vision
3.1 Überproduktion und weiter steigende Arbeitslosigkeit
Werner macht darauf aufmerksam, dass es in der BRD seit den 1970er Jahren keine Vollbeschäftigung mehr gegeben habe und dass auch zukünftig weitere Erwerbsarbeitsplätze, hauptsächlich im industriellen Bereich, wegrationalisiert würden. In Deutschland produziere man schon seit langem mehr als man (ver)brauche. Und wenn die Märkte gesättigt und die Verkaufszahlen rückläufig seien, dann würden Arbeitsplätze abgebaut. Das spiegle nur die Marktlogik wider, denn ein Unternehmer habe sich nicht darum zu kümmern, möglichst viele Arbeitsplätze zu schaffen oder zu sichern. Im Gegenteil: er müsse versuchen, möglichst viel Geld und Ressourcen einzusparen, um den Menschen von der Arbeit zu befreien und den Profit zusteigern. Neben den gesättigten Märkten liefen auch die ständig neuen Innovationen und der unaufhaltsame technische Fortschritt in Zukunft auf mehr oder weniger „menschenleere Fabriken“ hinaus. Der Mensch wiche immer häufiger der Maschine. Diese beiden Entwicklungsstränge führten zu einer noch größeren Sockelerwerbslosigkeit.
3.2 Weniger Erwerbsarbeit, mehr Freiheit, mehr Familie, mehr soziales Engagement
Werner sieht in dieser von ihm prognostizierten Zukunft weniger eine Gefahr für den Sozialstaat als vielmehr eine Chance zu mehr Freiheit.
Als Reaktion auf den zu erwartenden Rückgang der Nachfrage an Erwerbsarbeitskräften, sei es an der Zeit, Einkommen nicht mehr nur an Erwerbsarbeit zu koppeln, sondern allen deutschen Arbeitsplatzbesitzern und Erwerbslosen bedingungslos ein BGE auszuzahlen. Das Adjektiv „Bedingungslos“ schließe die Beseitigung sämtlicher staatlich-administrativer Bedarfsprüfungen ein, die viele Menschen als demütigend empfänden. Niemand müsste mehr als Bittsteller an den Staat herantreten.
Das Werner-Modell verabschiedet sich von jeglichen Einkommensbesteuerungen und -abgaben, was die Erwerbsarbeit als zusätzliche Einkommensquelle sehr attraktiv mache. Am Rande sei noch einmal an den ureigensten Zweck des BGE erinnert: es solle ein Leben in Würde sichern – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wer sich neben dem Notwendigsten auch etwas „leisten“ möchte, wird sich zum BGE etwas dazuverdienen müssen. Zudem betont Werner den „immateriellen Wert“ der Arbeit. Wem seine Arbeit bisher Spaß machte oder in seiner Arbeit einen Sinn erkenne, würde seine Arbeit wahrscheinlich auch nach der Einführung eines BGE fortsetzten. Selbst die eintönigste Arbeit könne der sozialen Kontakte wegen oder aufgrund des Gefühls, gebraucht zu werden, gerne verrichtet werden. Wenn es trotzdem schwierig würde, vakante Arbeitsplätze zu besetzten, müsste man probieren, diese so weit wie möglich zu automatisieren (Bsp. Müllentsorgung) oder höhere Löhne anbieten (Bsp. Pflege).
Wer keiner Erwerbsarbeit nachgehen wolle, könne sich mit dem BGE begnügen. Arbeitsauszeiten oder Arbeitszeitverkürzungen durch mehr Teilzeitarbeit eröffneten die Aussicht zu mehr Freiheit und Freizeit. Der Mensch hätte endlich Zeit, sinnstiftende Tätigkeiten auszuüben, mit denen er sich gerne identifiziert. „Es würde mehr soziale Arbeit geleistet. Auch mehr Erziehungsarbeit, mehr Pflegearbeit, mehr künstlerische Arbeit, Kultur- und Theaterarbeit, mehr Bildungsarbeit und, und, und.“ Im Gegensatz zur Erwerbsarbeit lägen in den soeben genannten Arbeitsbereichen noch riesige Potentiale brach. „Wir steuern auf eine Gesellschaft zu, in der die Arbeit verschwindet. Und die Frage ist nur, was die Menschen dann alle mit ihrer Zeit anfangen. Das ist eine Kulturfrage. Das Problem, das wir haben, liegt nicht auf dem Arbeitsmarkt, sondern eigentlich in der Kultur.“ Schon heute seien nur 31 % aller in der BRD lebenden Menschen in Erwerbsarbeitsverhältnissen beschäftigt.
3.3 Ausschließliche Konsumbesteuerung, Steueroase BRD, geringere Schwarzarbeit
Die paradiesisch anmutende Vision Werners wirft die Frage nach der Finanzierbarkeit des BGE auf. Werner plädiert für eine radikale Vereinfachung des Steuersystems: Einkommenssteuern und -abgaben sollen – wie bereits erwähnt – wegfallen, dagegen aber der Konsum über die Mehrwertsteuer stärker besteuert werden. „Bin ich konsumtiv, lebe ich von der Leistung anderer, bin ich produktiv, leiste ich für andere. Die Einkommensteuer setzt da an, wo ich produktiv bin. Das ist idiotisch, das bremst Initiativen.“
Auf lebenswichtige Güter des täglichen Bedarfs (Nahrungsmittel etc.) müsste ein niedriger, auf Güter des gehobenen Bedarfs ein höherer und auf Luxusgüter ein sehr hoher Mehrwertssteuersatz erhoben werden. Außerdem müsse man bei den Produkten unterscheiden, ob sie auf die Gesellschaft einen positiven, neutralen oder negativen Effekt hätten und dementsprechend niedrig bzw. hoch besteuern (Bsp. Hohe Mehrwertsteuer auf Tabak).
Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen im Bundestag Fritz Kuhn unterstellt Götz Werner, durch die Abschaffung der progressiven Einkommensteuer auch den daran geknüpften Gerechtigkeitsgedanken aufzugeben. Dieser besage, dass Gutverdiener mehr Steuern bezahlen müssten als Geringverdiener. Solchen Einwänden entgegnet Werner, auch sein Modell bitte Besserverdiener stärker zur Kasse als Normal- und Geringverdiener, da erstere aufgrund ihres höheren Lebensstandards auch mehr bzw. teurere Güter konsumierten als letztere beiden Einkommensgruppen. Erwerbslose, die ausschließlich das BGE-Einkommen bezögen, könnten ihr ohnehin knapp bemessenes Geld nicht sparen, sondern würden dem Staat einen Teil des BGE über maximale Konsumausgaben innerhalb eines Monats wieder zurückführen. Die Wirtschaft profitierte von der steigenden Binnenkaufkraft aller Menschen.
Weiter kritisiert Kuhn, auch Menschen, die ein BGE gar nicht benötigten, erhielten ein solches. Hierauf ließe sich aus Sicht Werners z. B. antworten, dass selbst Millionäre einmal finanziell abrutschen könnten und so durch das BGE abgesichert wären. Gerade weil jeder das Gleiche bekäme – ein BGE also gewissermaßen ein „Grundrecht“ wäre –, könnte sein Modell als gerecht bezeichnet werden. Ganz nebenbei zahle der Staat beispielsweise auch heute an reiche Eltern Kindergeld, obwohl diese das gar nicht bräuchten – und niemand tadle diese Praxis. Überdies könnten die besser gestellten Menschen durch ein BGE theoretisch noch mehr konsumieren.
Dabei unterschlägt Werner gemäß seiner Kritiker allerdings einen Teil der Wirklichkeit, in der Spitzenverdiener wie Herr Ackermann nur einen Bruchteil ihres Monatseinkommens verbrauchten bzw. verbrauchen könnten. Wie käme der Staat dann ohne Einkommenssteuer an deren Geld – etwa über eine extra Reichensteuer oder wie Werner meine, ausschließlich über den Konsum? Hier besteht also noch Klärungsbedarf.
Durch den Wegfall der Einkommenssteuern und der Sozialabgaben, die die Erwerbstätigen dann nicht mehr zahlen müssten, sowie durch das staatlich gesponserte BGE, könnten Unternehmer niedrigere Löhne zahlen. Die zusätzlich entfernten Unternehmenssteuern und Lohnnebenkosten gestatten eine komplett steuerfreie und damit billigere Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Die Nettopreise der Produkte würden folglich sinken, aber durch die höheren Mehrwertsteuersätze wieder ungefähr an das ursprüngliche Bruttopreisniveau angehoben. Steuern für die Produktion würden erfahrungsgemäß von den Unternehmen durch Preiserhöhungen sowieso immer an die Endverbraucher weitergegeben. Die Einkommenssteuer, Lohnkosten und Lohnnebenkosten führten nur zu einer ständigen Verteuerung der Menschenarbeit (Bsp. Frisör), während Maschinenarbeit unberührt bliebe. Durch das Streichen der Produktionsbesteuerung würde sich Menschenarbeit verbilligen und Maschinenarbeit durch die Konsumbesteuerung gleichermaßen belastet werden.
Durch das gänzliche Abschaffung der Produktionsbesteuerung würde Deutschland für Unternehmer eine Steueroase und somit ein äußerst attraktiver Standort für Unternehmensgründungen. Produktionsstätten müssten nicht mehr zuhauf ins Ausland verlagert werden. Billigarbeitskräfte aus dem Osten machten minderqualifizierten Deutschen nicht mehr den Arbeitsplatz streitig. Exporte gewännen – weil sie nicht mit der Mehrwertsteuer beladen wären – an Attraktivität, Importe hingegen verteuerten sich (Bsp. Billigtextilien aus China).
Das Werner-Modell hätte zudem den unschätzbaren Vorteil, dass jeder kinderleicht nachvollziehen könnte, wieviel Steuergeld er/sie dem Staat als Verbraucher zahle und was er/sie über das BGE wieder zurückbekomme. Schwarzarbeit, so Werner weiter, nehme ab, da die Kontrolleure nur noch überprüfen müssten, ob eine Rechnung ausgestellt wurde, in der der Mehrwertsteuersatz inbegriffen ist. Umgekehrt – das verschweigt Werner gerne – könnte Deutschland aber auch zu einem Schwarzarbeiterparadies verkommen, denn besonders handwerkliche Arbeit in vertrauten Kreisen könnte sich wohl leicht um die Mehrwertsteuer herumzudrücken. Tipps und Tricks zur Steuerhinterziehung im heutigen Ausmaß wären allerdings passé.
3.4 Finanzierung, Realisierung
Das BGE könne somit großteils aus den Mehrwertsteuereinnahmen finanziert werden. Außerdem ließe sich durch die radikale Vereinfachung des Steuersystems in großem Maße Bürokratie abbauen – etwa alle Bundesarbeitagenturen, viele Finanzbeamte etc.. Des Weiteren machte das BGE die Arbeitslosen- und Rentenversicherung überflüssig. Eine staatliche Rente im heutigen Sinne gäbe es dann nicht mehr. Man könnte bis an das Ende seiner Tage arbeiten oder seinen Lebensabend mit dem BGE und eventuell vorhandenen Ersparnissen ausklingen lassen. Ein Teil des BGE könnte verpflichtend in eine staatliche oder private Kranken- und Pflegeversicherung abgeführt werden. Das Werner’sche Modell stellte die passende Antwort auf die demografischen Entwicklungen in der BRD dar. Andere Sozialleistungen wie BäföG, Kindergeld etc. bräuchte der Staat nicht mehr zu bezahlen. Ausnahmefälle bildeten extrem gehandicapte Menschen (Behinderte etc.), die neben dem BGE eine Mehrleistung erhielten.
Denjenigen, die Werners Finanzierungskonzept bemängeln, sollten sich immer gleichzeitig vergegenwärtigen, dass bereits heute nur 26 Mio. der 82 Mio. in der BRD lebenden Menschen erwerbstätig sind – prozentual ausgedrückt seien das lediglich 31 %; jeder zweite Deutsche lebe von Transferleistungen des Staates, deren Gesamtvolumen 700 Mrd. € umfasse. Das Werner’sche Modell scheint also weniger realitätsfern, als deren Zweifler glauben mögen.
4 Ergänzende Ideen und Anregungen der politischen Linken
Katja Kipping, stellvertretende Parteivorsitzende der Linkspartei/PDS und Sprecherin des Netzwerkes Grundeinkommen, teilt im Großen und Ganzen das Werner’sche Zukunftsbild, wonach der Bedarf an körperlicher Arbeit – etwa in der Produktion – abnehme und die kulturellen, sozialen, kreativen Arbeiten an Bedeutung zulegten. Ihre konzeptionellen Vorstellungen von einem BGE sind aber in vielen Aspekten weniger radikal als die von Werner. Im Folgenden soll aber nicht das Modell vom „Netzwerk Grundeinkommen“ dargelegt, sondern die von Werner angesprochenen Aspekte eines BGE um einige andere Anregungen (von linker Seite) ergänzt werden.
4.1 Ehrenamt, Emanzipation, Schutz vor Armut, Demokratiepauschale, Solidarität
Kipping geht wie Werner von einem Zuwachs an ehrenamtlichem Engagement aus. Ihrer Einschätzung zufolge leisteten in der BRD bereits heute 22 Mio. Menschen durchschnittlich 15 Stunden wöchentlich unentgeltliche Öffentlichkeitsarbeit. Und der Sektor der Kommunalarbeit hätte seine Grenzen noch längst nicht überschritten. An dieser Stelle werfen Kritiker oft ein, Arbeitslosigkeit bewirke eher einem Rückzug aus dem sozialen Leben und führe zu Lethargie. Dem wiederum könnte man erwidern, durch ein BGE wirke Erwerbsarbeitslosigkeit nicht mehr so stigmatisierend und die Erwerbslosen verlören eventuell ihre Scheue vor der Öffentlichkeit.
Stärker als Werner unterstreicht Kipping die emanzipatorische Wirkung eines BGE. In Partnerschaft lebende erwerbslose Männer oder Frauen wären nicht mehr so sehr vom Partnereinkommen abhängig und würden selbstbewusster. Auch den Armut bekämpfenden Charakter des BGE hebt sie hervor. Bettler, die in Fußgängergassen oder vor Parkhäusern um ihre nackte Existenz kämpften, hätten jetzt ein festes Einkommen in der Tasche.
Nebenbei betrachtet Kipping ein BGE als Demokratiepauschale. Rein theoretisch hätte nämlich jeder BGE-Empfänger die Möglichkeit – etwa durch den Kauf einer (seriösen) Zeitung – etwas für seine persönliche politische Meinungs- und Willensbildung zu tun.
Zuletzt sei auf den Aspekt der Solidarität hingewiesen. Wenn jeder Mensch ein BGE kassiere, ginge die Zahl derjenigen, die der Meinung sind, man solle nicht länger „Drückebergerei oder Sozialschmarotzertum“ finanzieren, vielleicht zurück. Gewissermaßen erhielten ja dann alle Menschen, ganz gleich, ob erwerbstätig oder erwerbslos, die gleiche „Sozialhilfe“. Außerdem dürfe gemeinnützige Arbeit nicht immer mit Erwerbsarbeit gleichgesetzt werden. Arbeit im Haushalt, im Ehrenamt oder politisches Engagement seien auch Gesellschaftsarbeiten.
4.2 Keine Bedarfsprüfung, Bürokratieabbau
An den bisherigen Bedarfsprüfungen bemängelt Kipping u. a. die Übervorteilung von Menschen mit eher schwachen kommunikativen Kompetenzen. Diese seien dem bürokratischen Procedere kaum gewachsen und dadurch mit Nachteilen konfrontiert. Bei einer bedingungslosen Auszahlung eines BGE müsste man beispielsweise keinen Arbeitsvermittler mehr vorgaukeln, wie arbeitswillig man doch sei oder vorrechnen, wie viele Bewerbungsschreiben man abgeschickt hätte. Und der Bürokratieabbau wäre endlich beschlossene Sache. Die BRD hat weiniger ein Einnahme- als vielmehr ein Ausgabeproblem. Ein Beispiel: das Arbeitsamt in Berlin wendete 2004 in der Spitze 80.000 € für die Vermittlung eines Arbeitslosen auf. Warum das Geld dann also nicht gleich unter den Leuten verteilen?
4.3 Mindestlohn
Neben der Einführung eines BEG setzt sich Kipping auch für einen Mindestlohn ein. Die Ausweitung von Teilzeitjobs etc. nach Einführung eines BGE könnte bei den vollbeschäftigten Erwerbstätigen und bei den Erwerbslosen auf reges Interesse stoßen. Ein Mindestlohn verhindere dann, dass Unternehmen beim Überangebot an Arbeitskräften ihre (Teilzeit-)Arbeit zu Spottlöhnen „verkaufen“ könnten.
4.4 Gewerkschaften
So sehr sich Kipping & Co. auch in Überzeugungsarbeit üben, die Gewerkschaften konnten sich bisher mit dem Gedanken an ein BGE kaum anfreunden, obwohl die politische Linke und die Gewerkschaftsseite sonst eine relativ große Interessensschnittmenge eint.
Das Kernargument der Gewerkschaft heißt, das BGE höhle die Solidarität zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen aus. Mecki Förthmann, Mitglied des SprecherInnenrates
der BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE, entgegnet diesem, schon heute könne keine Rede von Solidarität sein, da die Gewerkschaften ja vorrangig die Interessen der Arbeitsplatzinhaber repräsentierten. Arbeitssuchende gefährdeten in den Augen der Gewerkschaft nur die Arbeitsplätze der Arbeitsplatzinhaber und verursachten Lohndrückerei. „Erst durch das BGE ist es möglich Solidarität zwischen Arbeitenden und nicht arbeitenden Menschen zu schaffen. Die Unternehmer können dann keine hungernden Streikbrecher oder Lohndrücker anheuern.“ Außerdem fürchten die Gewerkschaften einen Machtverlust, weil der einzelne Arbeiter durch das BGE unabhängiger würde. Andererseits wären durch ein BGE auch längere Streiks und zähere Haltungen der Arbeitnehmer denkbar.
Das Werben für stärkere Emanzipation, Armutsbekämpfung und Demokratisierung sowie für einen gesetzlichen Mindestlohn sind die vielleicht wichtigsten „linken“ Beifügungen zu den von Werner geäußerten Perspektiven zu mehr Freiheit, Eigeninitiative, ehrenamtlicher Tätigkeit, Familien- und Erziehungsarbeit sowie zu einem kulturellen Bedeutungszuwachs.
5 Artikel 23 (1) des Uno-Menschenrechts
Nachdem geklärt ist, was unter einem BGE zu verstehen ist, was man damit erreichen will und was man vielleicht auch tatsächlich erreichen kann, soll jetzt ein zweites Mal ein Blick auf Artikel 23 (1) des Uno-Menschenrechts geworfen werden.
Die PDS/Linke Liste bemerkte 1993: „Damit Arbeit wirklich ein Recht wird, darf sie weder Pflicht noch Zwang sein.“ Nach Umsetzung eines BGE Modells, wie beispielsweise dasjenige von Werner, bestünde in der BRD dann wahrhaft ein Recht auf Arbeit. Denn die unter Androhung von Kürzungen von Sozialleistungen auferlegten 1-Euro-Jobs und andere repressive Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gehörten dann endgültig der Vergangenheit an. Die Berufswahl wäre wirklich frei und niemand würde von den Bundesarbeitsagenturen mehr unfreiwillig für irgendwelche „zumutbaren“ Jobs zwangsvermittelt werden. Wer keine angemessenen und befriedigenden Arbeitsbedingungen vorfände, könnte das Unternehmerangebot ausschlagen bzw. kündigen. Die Verhandlungsposition der Erwerbstätigen oder der Erwerbsarbeitssuchenden gegenüber den Arbeitgebern würde gestärkt werden. Außerdem fiele es durch das BGE wahrscheinlich leichter Arbeiten aufzugeben, die mit persönlichen Gewissenskonflikten verbunden sind (Bsp. Rüstungsindustrie). Und last but not least böte das BGE auch einen Schutz gegen ungewollte oder eine Option für gewählte Erwerbslosigkeit. Das Uno-Menschenrecht wäre keine sinnleere Floskel mehr. Man sollte weiterhin über ein BGE nachdenken.
Quellen bzw. Links:
Interviews von Götz Werner:
http://www.iep.uni-karlsruhe.de/download/Wir_koennen_den_Menschen_von_der_Arbeit_befreien.pdf
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,386396,00.html
http://www.dr-frankschepke.de/Interview_GotzWerner.pdf
http://www.brandeins.de/ximages/19221_072goetzww.pdf
http://www.iep.uni-karlsruhe.de/download/Wer_nicht_arbeitet_soll_trotzdem_essen.pdf
Aufsätze und Interviews von Tom Maier, Fritz Kuhn, Katja Kipping und Mecki Förthmann:
http://de.indymedia.org/2004/08/89212.shtml
http://www.brandeins.de/home/inhalt_detail.asp?id=2204
http://www.linksnet.de/artikel.php?id=1746
http://www.die-linke-grundeinkommen.de/PDF/uffn_wedding_juni_07.pdfhttp://www.die-linke-grundeinkommen.de/PDF/verteidigung_bge.pdf